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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer
Autoren: Antje Babendererde
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schäumenden Wasser.
    Conrad rennt zum Ufer, versucht, etwas zu erkennen. Vergeblich. Nur weiße Gischt, die die Felsen umspült. Er blickt nach oben und sieht das Mädchen, eine dünne, schwankende Gestalt auf der Klippe.
    Dicht an den Felsen gedrückt, damit sie ihn nicht sieht und in Panik gerät, bewegt Conrad sich bis zu der Stelle, an der er hinaufklettern kann. Er weiß, dass das Mädchen bei ihm genauso durchdrehen wird wie bei Josh, aber er hat keine Wahl, er muss sie vom Felsen schaffen, sonst wird auch sie ins Meer stürzen.
    Von hinten schleicht er sich an Brandee heran, packt sie um die Hüfte und drückt sie gegen den Felsen. Sie wehrt sich, sie kämpft, sie trifft ihn mit ihrer Faust im Gesicht. Aber er ist stärker und nach einer Weile lassen ihre Kräfte nach. Das Mädchen wird willenlos und er bringt es vom Felsen, trägt es von der Klippe weg. Er lässt Brandee in den trockenen Sand gleiten und sie rollt sich dort zusammen wie ein Embryo.
    Conrad rennt zurück zum Ufer bei den Klippen. Auch wenn kaum Hoffnung besteht, er muss versuchen, Josh zu finden. Doch plötzlich steht Milo vor ihm in der Nacht und Rowdy bellt ihn an.
    »Er ist da drin«, sagt Conrad.
    »Ich weiß«, antwortet Milo ungerührt. »Ich habe alles gesehen.«
    »Und wieso stehst du dann hier rum?« Conrad schreit Milo an. »Hilf mir lieber, ihn rauszuholen.«
    »Warum? Er hat, was er verdient.«
    Im weißen Brandungsschaum sieht Conrad dunkle Arme und Beine auftauchen, die vom Wasser herumgewirbelt werden. Es ist gefährlich, aber er weiß, dass er von nun an alles richtig machen will. Er wird Josh da herausholen, ihn retten. Doch Milo stellt sich ihm in den Weg. Rowdy knurrt und fletscht seine Zähne.
    Boone taucht auf einmal auf und Rowdy ist abgelenkt. Conrad stößt Milo zur Seite und läuft in die Brandung.
    Ganz allein holt er Josh aus dem Wasser und schleift ihn über den Sand. Er presst ihm die Knie auf die Brust und seinen Atem in die Lungen. Aber nach einer Weile merkt er, dass etwas nicht stimmt. Er fühlt den Puls an Joshs Hals, aber da ist nichts mehr, nicht mal ein schwaches Pochen.
    Conrad blickt sich suchend nach Milo um, doch der ist längst verschwunden.
    Bis zum Morgengrauen sitzt Conrad mit dem Rücken gegen einen Treibholzstamm gelehnt und wacht über ein verstörtes Mädchen und einen toten Jungen. Denselben Jungen, den er so gehasst hat. Ist das die Ironie des Schicksals?
    Er denkt an Smilla und daran, wie sinnlos alles ist, wenn ihre beiden Welten nur in einer Spirale aus Gewalt aufeinandertreffen. Conrad fühlt die Verletzungen in seinem Gesicht und er weiß, dass niemand ihm glauben wird. Vielleicht nicht einmal sein Vater. Denn die Wahrheit ist nur eine dünne Linie zwischen Licht und Dunkelheit.
    Vom Krankenhaus fuhren wir zurück ins Camp. Alec hoffte, dass es Brandee schnell besser gehen würde, damit wir nach Seattle zurückkehren konnten. Keinen von ihnen hielt es länger in La Push.
    Als mit der Nachmittagsflut die Wellen kamen, stand Mark als Einziger auf seinem Brett. Niemand nahm ihm das übel. Jeder von uns wusste, dass es seine Art war, das Geschehene zu verarbeiten.
    »Ich mache einen Strandspaziergang«, sagte ich zu Alec. Er nickte nur zerstreut, was ich machte, war ihm egal.
    Ich lief auf schnellstem Wege zum »River’s Edge« und fragte nach Tamra. Sie erschien aus der Küche und bedachte mich mit einem hochmütigen Blick.
    »Weißt du, wo Conrad ist?«, fragte ich das Indianermädchen.
    »Was willst du von ihm?«
    »Sein Vater sucht ihn. Es hat einen Toten gegeben.«
    Tamras Brombeeraugen weiteten sich erschrocken, aber sie fasste sich schnell wieder. »Einen Toten, wer?«
    »Josh«, sagte ich.
    Tamra machte einen tiefen Atemzug, der Name sagte ihr etwas. Es war offensichtlich, dass Conrad ihr von Josh erzählt hatte.
    »Ich muss mit Conrad reden, es ist wichtig«, flehte ich. »Wenn du weißt, wo er ist, dann sag es mir. Bitte, Tamra.«
    Sie musterte mich, in ihr schien es zu kämpfen. Aber dann wurde ihr Blick wieder hart und sie sagte: »Ich hab keine Ahnung, tut mir leid.«
    Sie wusste etwas und ich wusste nichts.
    Conrad konnte überall sein, das hier war sein Revier. Doch ich ahnte, dass die Lösung ganz einfach war, dass sie sozusagen vor meiner Nase lag.
    Grübelnd verließ ich das »River’s Edge« und lief dem Jungen in die Arme, der mir fünf Dollar für ein Foto von sich abgeknöpft hatte. Inzwischen wusste ich, dass er Conrads Cousin war und Timmy hieß.
    »He«, brummte
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