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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer
Autoren: Antje Babendererde
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die Warrens und das Schuljahr in Seattle. Es würde mit Sicherheit eine aufregende Zeit werden und ich hoffte, Sebastian hier schnell und endgültig zu vergessen.
    Verstohlen musterte ich Alec von der Seite. Seine Dreads wippten bei jedem Schritt. Als wir draußen auf den Parkplatz zusteuerten, fragte er: »Sag mal, Midget, was ist eigentlich mit deinen Haaren passiert?«
    Verdammt! Von wegen: »Du siehst toll aus!« Während des Fluges hatte ich mir eine Vielzahl Erklärungen zurechtgelegt, aber nun geriet ich doch ins Stottern. Ich spürte, wie mir erneut die Röte ins Gesicht stieg. »Ein Missgeschick«, sagte ich und strich mir eine imaginäre Haarsträhne hinters Ohr. Alte Angewohnheit.
    »Ein Missgeschick?«, fragte er nach.
    »Kleine Tierchen.« Ich versuchte ein lockeres Lächeln.
    Alec grinste amüsiert. »Ach so, verstehe. Steht dir aber.«
    Na, wenigstens war er höflich. Ich war immer stolz auf meine langen kastanienbraunen Locken gewesen, doch die waren vor ein paar Wochen einer Geburtstagsparty zum Opfer gefallen, als ich im Bett irgendeines kleinen Bruders gepennt hatte. Pech. Sämtliche teuren Mittel gegen Läuse waren wirkungslos geblieben und ich hatte meine Haare opfern müssen. Inzwischen hatte ich eine ganz passable Kurzhaarfrisur, was allerdings nichts daran änderte, dass ich aussah wie ein Junge. Wie ein kleiner Junge. Da war nichts zu machen.
    Es war Mitte Juni, Ferienzeit. Die Schule würde erst im September beginnen. Ich hatte mich dafür entschieden, schon zwei Monate vor Schulbeginn nach Seattle zu fliegen, einfach, um Zeit zu haben, mich einzugewöhnen. Mein Englisch war ganz passabel, aber in ein paar Wochen würde ich auch die Feinheiten wieder draufhaben, was mir den Schulstart erleichtern sollte.
    Die Turners besaßen ein großes Haus mit Terrasse am Lake Union – ziemlich nobel, wie alle Häuser in der Gegend. Ich hatte mein eigenes Zimmer und teilte mir ein Bad mit Janice. Sie war ein Jahr älter als ich und wir waren bald wieder vertraut. Auch sie war groß und sah ihrem Bruder sehr ähnlich: dieselben blauen Augen mit den dunklen Brauen und Wimpern, der Kussmund, der dunkle Teint und das naturblonde Haar, das sie allerdings meistens ganz unspektakulär zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Wie Alec hatte Janice ein offenes, freundliches Wesen, sie war unkompliziert und ich kam gut mit ihr aus. Überhaupt fühlte ich mich schnell heimisch bei den Turners.
    In der ersten Zeit rief ich noch jeden zweiten Tag bei meinen Eltern an, aber das gab sich bald. Ich begann, meine ungewohnte Freiheit zu genießen. Meine Eltern waren zwar nicht streng, aber es gab Regeln bei uns zu Hause. Bei den Turners schien es keine zu geben, was mir ausgesprochen gut gefiel.
    Warren und Monica verhielten sich sehr herzlich mir gegenüber. Und abgesehen davon waren sie kaum zu Hause, sodass ich tun und lassen konnte, was ich wollte – genauso wie Janice und Alec.
    Zu meinem Leidwesen bekam ich Alec in den ersten Tagen kaum zu sehen. Er war nur selten zu Hause, daraus schloss ich, dass er eine Freundin hatte. Natürlich hatte er eine – so blendend, wie er aussah. Um weibliche Aufmerksamkeit brauchte er sich bestimmt keine Sorgen zu machen. Irgendwann fragte ich Janice beiläufig danach, aber sie meinte nur: »Ich glaube nicht. Wenn er eine Freundin hat, dann schleppt er sie meist gleich zu Hause an. Ist immer total anstrengend, wenn die Grazien mit am Frühstückstisch sitzen und ich mich mit ihnen unterhalten muss.« Sie verdrehte die blauen Augen und grinste mich an. »Also, ich glaube nicht, dass er eine Neue hat. Er trifft sich mit seinen Freunden vom College. Sie planen ihren Surftrip.«
    »Ihren Surftrip ? «
    »Ja, nach La Push. Das ist irgend so ein Nest in einem Indianerreservat an der Pazifikküste. Keine Surfhochburg oder so«, meinte sie achselzuckend, »aber es soll ein guter Platz für Anfänger sein, weil es dort keine Monsterwellen und keine einheimischen Surfer gibt, die einem die Wellen streitig machen. Alec war im letzten Jahr mit zwei Freunden dort.«
    »Wie lange bleiben sie denn?«, fragte ich. »Übers Wochenende?«
    »Nee, zwei oder drei Wochen.«
    Zwei oder drei Wochen. Ich schluckte. Alec hatte nichts von seinen Reiseplänen erzählt. Jedenfalls nicht, wenn ich dabei war.
    »Was ist mit dir?«, fragte ich Janice. »Fährst du auch mit?«
    Sie zuckte erneut mit den Schultern. »Ich weiß noch nicht. Hängt davon ab, wer alles mitkommt. La Push ist das Ende der Welt, jedenfalls
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