Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition)
Autoren: Clemens J. Setz
Vom Netzwerk:
der größeren Gasthöfe gegangen. Ich steckte meine iPod-Kopfhörer in die Ohren und hörte mir, um in eine etwas respektvollere Stimmung zu geraten, Arvo Pärts meditatives Klavierstück Für Alina an.
    Als ich beim Haus Glockenhofweg 1 ankam, stand Frau Stennitzer am Gartentor, als hätte sie mich schon erwartet. Ich erschrak ein wenig und zupfte mir sofort die Kopfhörer aus den Ohren.
    – Ja, ich, ich wollte mich noch von Ihnen verabschieden, sagte ich.
    Sie machte mir das Gartentor auf.
    – Sind Sie gar nicht bei Ihren Verwandten?, fragte ich.
    Dass Frau Stennitzer so kurz nach dem Begräbnis hier in ihrem Garten stand, kam mir wie eine rätselhafte Verdoppelung ihrer Person vor. Ein Déjà-vu. Ein Fehler in der Matrix.
    – Nein, sagte sie. Kommen Sie rein.
    Ich folgte ihr ins Haus.
    – Sie wollten sich verabschieden, sagte sie. Das ist nett von Ihnen.
    – Und ich wollte Ihnen sagen, dass Sie, falls es irgendetwas gibt, das ich für Sie tun kann, egal was …
    – Hm, machte sie.
    Es klang wie ein sehr müdes, kraftloses Husten.
    – Warum sind Sie zurückgekommen?, fragte sie dann.
    – Um mich zu verabschieden.
    – Nein, nein, ich meine nicht das, ich meine … Ich habe Sie doch angerufen, in Ihrem Hotelzimmer in Brüssel, erinnern Sie sich?
    – Woher wissen Sie – 
    – Ach, bitte, sagte Frau Stennitzer. Lassen Sie das. Reden wir wie vernünftige Menschen, in Ordnung? Während unseres Telefongesprächs, da haben Sie ganz verändert gewirkt, Herr Setz. Sie haben die Ankunft von Christoph bestätigt.
    – Wie bitte?
    – Warum haben Sie das gemacht? Es hat mich verwirrt.
    – Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen.
    Sie seufzte.
    – Ich will Sie nicht in die Ecke drängen, Herr Setz. Es war nicht ganz deutlich. Es war sehr subtil. Aber doch eindeutig.
    – Was war eindeutig?
    Ihr Gesicht verzerrte sich vor Ekel.
    – Ich bitte Sie, seien Sie nicht so … Er hat es mir erzählt. Er hat mir alles erzählt. Sogar, dass Sie ihn gebeten haben, Ihnen zu beschreiben, was auf so einem Video zu sehen ist! Ich will ja nicht über Sie urteilen, aber ich finde das ziemlich widerwärtig, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen.
    – Was? Aber nein, das war nicht so – 
    – Ich finde das absolut voyeuristisch und noch eine Reihe ganz anderer Dinge, von denen ich jetzt lieber gar nicht anfangen mag. Wieso haben Sie ihn darum gebeten? Das ist so – 
    Ich machte ein Time-out-Zeichen mit beiden Händen:
    – Bitte, hören Sie mir zu, das war nicht so, ja? Ich weiß nicht, woher Sie das wissen, aber Herr Ferenc wollte mir das Video vorspielen, und ich konnte mir das nicht anschauen. Also habe ich ihn gefragt, ob er mir beschreiben kann, was darauf zu sehen ist – 
    – Aber warum? Das ist doch doppelt krank! Ich hab das Video auch gesehen, so schlimm ist das nicht! Kein Grund, sich das Bild für Bild nacherzählen zu lassen.
    – Woher kennen Sie …?
    Sie trat einen Schritt zurück, und es sah so aus, als werfe sie einen Kontrollblick über ihre Schulter ins Vorzimmer des Hauses. Dort stand eine Tür einen Spaltbreit offen. Ich schaute hin. Aber der Türspalt wurde um keinen Zentimeter größer.
    – Ich kann Ihnen nicht mehr vertrauen, sagte sie. Das ist alles, was ich sagen kann. Herr Ferenc wird sich jemand anderen suchen müssen.
    – Einen anderen?
    – Ja. Sie sind nicht geeignet dafür.
    – Wofür? Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Wirklich. Und ich bin sehr überrascht, dass Sie Herrn Ferenc kennen, er hat mir überhaupt nichts davon erzählt, also – 
    – Sie haben nichts bemerkt?, fragte sie, unter Tränen.
    – Aber nein, ich – 
    – Sie Schwein!
    Ihre Faust traf meinen rechten Oberarm.
    – Warten Sie!, fing ich ihre Hand ab. Bitte, nur einen Augenblick! Sprechen Sie mit mir. Erklären Sie mir, was Sie meinen. Haben Sie vor irgendetwas Angst? Ist es das? Haben Sie Angst, dass jemand …
    Ich wusste selbst nicht, wie der Satz weitergehen sollte.
    – Angst!
    Frau Stennitzer spuckte das Wort verächtlich vor mir aus.
    Ich ließ meine Arme sinken. Ein hilfloses, flugunfähiges Tier.
    – Haaaaah, machte Frau Stennitzer und schien alle Luft aus ihrem Brustkorb zu pressen. Ich habe ja Respekt vor dem, was Sie getan haben. Ich meine, ich hab wirklich Respekt vor … vor … dass Sie da hingefahren sind und so weiter. Aber wir sind anders, können Sie das nicht verstehen? Wir waren anders. Christoph war …
    Sie deutete in die Luft.
    – Christoph war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher