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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition)
Autoren: Clemens J. Setz
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ihr stand, drehte sich auf unauffällige Weise zu mir um. Ich hob die Hand.
    Ich schloss mich keiner Gruppe an, sondern ging allein in das Wirtshaus gegenüber der Pension Tachler. Die Pension selbst war geschlossen. Ich setzte mich in einen finsteren Winkel und bestellte einen Orangensaft. Nach einigen Minuten trat jemand an meinen Tisch. Da die Gestalt vor den hellen Fenstern stand, erkannte ich nur eine Silhouette. Ein hoher Hut wurde vor mir auf den Tisch gestellt.
    – Darf ich Sie kurz stören?
    Ich blickte den Unbekannten an, unfähig, etwas Sinnvolles zu antworten. Was hatte er vor? Wollte er mich aus dem Lokal werfen? Oder eine Schlägerei anzetteln?
    – Ich wollte nur … äh … ob Sie das hier signieren könnten …
    Zum Hut gesellte sich eine Ausgabe des National Geographic. Der Mann beugte sich nach vorne, so dass ich sein Gesicht sehen konnte, feuchtete seinen Mittelfinger mit der Zunge an und blätterte das Heft auf. Als er beim Artikel In der Zone angelangt war, deutete er auf meinen Namen und sagte:
    – Wenn’s geht, hier … bitte …
    Ich machte eine verlorene Geste mit beiden Armen, eine Mischung aus Achselzucken und Hände hoch!
    – Oh, entschuldigen Sie, natürlich, sagte der Mann und klopfte seine Brust ab.
    Er fasste in seine Jackentasche und holte eine wunderschöne, alt und erfahren aussehende Füllfeder heraus. Er drückte sie mir in die Hand und deutete noch einmal auf dieselbe Stelle.
    – So etwas … äh … na ja, wie soll man sagen, so etwas macht natürlich die Runde in einem relativ kleinen Ort wie hier, hahaha, Sie verstehen.
    Ich setzte die Füllfeder auf das Papier, und unter ihrer Spitze entstand ein Tintenpunkt, der langsam größer und größer wurde.
    – Kommt ja nicht alle Tage vor, sagte der Mann im exakt gleichen Tonfall, dass jemand so etwas für uns tut, gewissermaßen.
    Mein Name stand da. Ich hatte ihn automatisch geschrieben. Ich überlegte, ob ich den Artikel und das ganze National-Geographic- Heft auf der Stelle zerreißen sollte, aber der Mann nahm mir Heft und Füllfeder sanft aus der Hand und verbeugte sich.
    – Einen schönen Tag noch. Ah …
    Er stutzte, legte die Zeitschrift aufgeschlagen zurück auf den Tisch.
    – Das mittlere Initial, das haben Sie vergessen, meinte er.
    Er tippte mit dem Zeigefinger auf den Autornamen unterhalb der Titelzeile.
    Mit zitternden Fingern malte ich einen dicken Regenschirmgriff zwischen meinen Vor- und Nachnamen. Immer dicker malte ich ihn, bis mir der Mann die Füllfeder lachend aus der Hand nahm und das Heft forttrug.
    – Haha, sagte er im Weggehen. Ja, so. Haha.
    Ein Kellner brachte mir meinen Orangensaft. Obwohl mir ein wenig übel war, bestellte ich dazu noch einen Käsetoast. Als ich an der Perforation der winzigen Ketchuptüte riss und ein dünner roter, überraschend flüssiger Strahl auf den Teller spritzte, hatte ich für einen Augenblick das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Um den Anfall abzuwehren, konzentrierte ich mich auf meine Knie und berührte und betastete sie, auch meine Zehen ließ ich wackeln und stellte mir vor, wie sie in den Schuhen aussahen.
    Als ich bezahlen wollte, verbeugte sich der Kellner vor mir und sagte, das gehe selbstverständlich in Ordnung. Der Bürgermeister habe das erledigt.
    – Der Bürgermeister, wiederholte ich.
    – Ja, grad eben, als er hinausgegangen ist. Er ist extra noch einmal zurückgekommen. Der passt immer auf, dass nichts unerledigt bleibt.
    Der Wirt klopfte mir auf die Schulter.
    – Man kommt sich ja direkt berühmt vor, sagte er. Wenn man in so einer Enthüllung vorkommt. Aber Enthüllen ist eben notwendig, sonst wird das Übel nicht erkannt.
    Kaum zurück auf der Straße und im Sonnenlicht, wurde ich von einem anderen Menschen angesprochen. Erst nach einigen Sekunden bemerkte ich, dass es eine Frau war. Eine ältere Frau mit einem Kopftuch. Ich griff in die Innentasche meines Mantels und umklammerte meinen Bleistift. Wo rammt man einen Bleistift am besten hinein? Ins Dritte Auge? Durch die Unterlippe ins Zahnfleisch? In die Schläfe?
    Aber die Frau wollte nur wissen, wo der Bahnhof sei. Ich zeigte in die richtige Richtung, und sie nickte und bedankte sich.
    Langsam setzte ich mich in Bewegung, in Richtung Glockenhofweg. Ich wollte nur noch einen Blick auf das verbrannte Häuschen im Garten werfen und dann von hier verschwinden.
    Im Ort war niemand mehr unterwegs. Frau Stennitzer war bestimmt mit ihren Verwandten zum Leichenschmaus in einen
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