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Incarceron

Incarceron

Titel: Incarceron
Autoren: Catherine Fisher
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und der Mann ließ die Waffe sinken. Dann schlug Keiro Finn auf die Schulter, sodass eine Staubwolke von seiner Kleidung aufstieg.
    Â»Gut gemacht, Bruder«, sagte er.

2
    Wir werden ein vergangenes Zeitalter erwählen und
es neu entstehen lassen. Wir werden die Welt von der
Furcht vor Wandel befreien! Das wird das Paradies sein!
    DAS DEKRET VON KÖNIG ENDOR
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    D ie Eiche sah ganz natürlich aus, doch sie war durch Genveränderungen gealtert. Die Äste waren so mächtig, dass es leicht war, an ihnen emporzuklettern. Während Claudia ihren Rock zusammenraffte und immer höher stieg, schnellten Zweige zurück, und grüne Flechten hinterließen Staub auf ihren Händen.
    Â»Claudia! Es ist vier Uhr!«
    Alys’ krächzende Stimme ertönte von irgendwo im Rosengarten. Claudia ignorierte den Ruf, teilte das Blätterwerk und spähte hindurch.
    Aus dieser Höhe konnte sie das ganze Anwesen überblicken; den Küchengarten, die Gewächshäuser und den Orangenhain, die knorrigen Apfelbäume im Obstgarten und die Scheunen, wo im Winter die Tänze stattfanden. Sie konnte die weiten, grünen Wiesen sehen, die sich in sanftem Bogen bis zum See erstreckten, und den Buchenwald, der die Straße nach Hithercross verbarg. Weiter im Westen sah sie die Schornsteine der Altan Farm rauchen, und sie entdeckte hoch oben auf dem Harmer Hill den Kirchturm, dessen alter Wetterhahn in der Sonne glänzte. Jenseits
davon erstreckten sich Meile um Meile die Ländereien des Hüters, Wiesen, Dörfer und Straßen: ein blaugrüner Flickenteppich, über dessen Flüssen der Nebel hing.
    Sie seufzte und lehnte sich gegen den Baumstamm.
    Es sah so friedlich aus. So perfekt, obwohl es eine Illusion war. Sie würde es hassen, von hier fortzugehen.
    Â»Claudia! Beeil dich!«
    Der Ruf klang jetzt schwächer. Ihr Kindermädchen musste zurück zum Haus gerannt sein, denn ein Schwarm Tauben flatterte auf, als wäre jemand die Treppe zur Voliere emporgestiegen. Während Claudia lauschte, läutete die Uhr bei den Ställen zur vollen Stunde; langsame Glockenschläge waren zu hören, die hinaus in den heißen Nachmittag wehten.
    Die Landschaft schimmerte.
    In weiter Ferne auf der Hauptstraße sah Claudia die Kutsche.
    Sie presste die Lippen zusammen. Er war früh.
    Es war eine schwarze Kutsche, die sich da näherte, und selbst von ihrem augenblicklichen Standpunkt aus konnte Claudia die Staubwolke sehen, die die Räder auf der Straße aufwirbelten. Vier schwarze Pferde zogen sie, und sie wurde von Reitern einer Eskorte flankiert. Claudia zählte acht davon und schnaubte ein unterdrücktes Lachen. Der Hüter Incarcerons ritt standesgemäß. Sein Amtswappen war auf die Türen der Kutsche gemalt, und ein langes Banner wehte im Wind. Auf dem Kutschbock saß der Wagenlenker in seiner schwarz-goldenen Livree und kämpfte mit den Zügeln. Sie konnte das Knallen einer Peitsche im Wind hören.
    Ãœber ihr tschilpte ein Vogel und hüpfte von Ast zu Ast. Sie selbst blieb reglos sitzen, und das Tier ließ sich in einem Blätterversteck ganz nahe neben ihrem Gesicht nieder. Und dann begann der Vogel zu singen: eine kurze, liebliche Melodie. Möglicherweise war es ein Fink.

    Die Kutsche hatte das Dorf erreicht. Claudia sah, wie der Schmied aus der Tür trat und einige Kinder aus einer Scheune gestürmt kamen. Als die Reiter an ihnen vorbeipreschten, bellten Hunde, und die Pferde drängten sich zwischen den schmalen, überhängenden Häusern zusammen.
    Claudia griff in ihre Tasche und holte ihren Visor raus. Er war nicht zeitaltergemäß und verboten, aber das war ihr egal. Sie schob ihn sich vor die Augen und spürte den schwindelerregenden Moment, als sich die Linsen an ihren Sehnerv anpassten. Dann vergrößerte sich die Szenerie vor ihr, und sie sah die Gesichtszüge der Männer klar und deutlich. Sie entdeckte den Verwalter ihres Vaters, Garth, auf seinem rötlich grauen Pferd, den dunklen Sekretär, Lucas Medlicote, und die Soldaten in ihren bunten Röcken.
    Der Visor war so wirkungsvoll, dass sie dem Kutscher einen kurzen Fluch, den er ausstieß, beinahe von den Lippen ablesen konnte. Dann schossen die Brückenpfeiler vorbei, und ihr war klar, dass die Kutsche den Fluss und das Pförtnerhaus erreicht hatte. Mistress Simmy kam herausgerannt, um die Tore zu öffnen, ein Geschirrhandtuch
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