Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Monica Kristensen
Vom Netzwerk:
einen Temperaturabsturz in gewaltige Minusgrade als aus Furcht oder Sorge. Zwei Dinge, die man in der Arktis vermeiden sollte , dachte er. Wind und Angst .
    Der kleine Anflug von Optimismus, die auch noch so winzige Hoffnung, die Situation zum Besseren zu wenden, war rasch verflogen. Als Knut sich links der höher gelegenen Uferregion zuwandte, der sogenannten Steilküste, fing der Motor an zu stottern. Zunächst nur hin und wieder, beim Anstieg an einem kleinen Hügel oder einer Kurve im Gelände. Dann immer häufiger, je näher er Barentsburg kam. Kurz darauf setzte der Motor aus. Knut wusste nur zu gut, was passiert war, er hatte dieses Geräusch oft genug gehört. Das Benzin war alle. Der Tank hatte offenbar doch etwas abbekommen.
    Dieses verdammte Land , dachte er und blickte über die mit blauem Schnee bedeckte Ebene. Nicht eine Spur durchkreuzte die Abhänge. Unberührt und einsam lagen sie im Mondlicht.
    Er hätte heulen können, erinnerte sich jedoch nicht, wann er es als Erwachsener das letzte Mal getan hatte. Außerdem hatte er keine Zeit, um zu verzweifeln. Er öffnete die Leinentasche und zog ein paar Kleidungsstücke heraus, die er sich umband. Sonst brauchte er nichts. Bevor er den Scooter verließ, schnallte er sich das Gewehr auf den Rücken. Wie hoffnungslos es auch schien, er musste das letzte Stück bis zum Kai in Barentsburg zu Fuß bewältigen.

KAPITEL 36 Ein Augenblick der Resignation
    Es hatte aufgehört zu schneien, aber er sah das Ende des Kais erst, als es nur noch wenige Meter entfernt war. Der Himmel war überzogen von einer dicken Wolkenschicht, kein Mond schien über der öden Landschaft. Stundenlang hatte er sich durch den Schnee gearbeitet und war auf dem letzten Stück die Hänge auf Händen und Füßen hinaufgekrochen. Jetzt rang er um Atem und setzte sich auf die untersten Stufen der Treppe. Wieder einmal hing sein Leben davon ab, ob er es schaffen würde, die steilen Treppen zu bewältigen. Endlos schienen sie zu sein, sie verschwanden in der Dunkelheit wie ein unbezwungener Berg.
    Bei den Lagerhäusern war es ruhig. Kein Schiff lag vertäut am Kai, kein Mensch war zu sehen. Nur das Schwappen der langen, ruhigen Dünung, die aus dem Isfjord kam. Kein Wind wirbelte den federleichten Neuschnee auf. Kein Laut war zu hören, außer seinen eigenen angestrengt rasselnden Atemzügen. Er drehte sich um und blickte hinauf zu den Häusern der Siedlung. In einem einzigen Haus schien Licht. Das Konsulat war strahlend hell erleuchtet, wie für ein Fest.
    Die Kälte und die Erschöpfung ließen ihn halluzinieren. Einen Augenblick meinte er, in einem der Lagerhäuser Schritte zu hören, eine Tür, die geschlossen wurde. Die medizinische Ursache dieses Phänomens kannte er. Wenn der Körper auskühlt, versorgen sich die großen Organe – Leber, Herz, Milz und Nieren – mit so viel Blut wie möglich, um die Temperatur zu halten. Daher friert man zuerst an den Fingern und den Zehen. Das Gehirn bekommt dann zu wenig Sauerstoff. Es kommt zu Halluzinationen, Fantasien. Und schließlich fällt man in einen tiefen Schlaf.
    Knut ließ sich auf alle viere fallen und begann, eine qualvolle Stufe nach der anderen hinaufzukriechen. Das Gewehr hing an seiner unverletzten Schulter und schlug rhythmisch gegen das Treppengeländer.
    In dem schwachen Licht der Straßenlaternen erstreckten sich die Schatten unnatürlich lang über die Treppenstufen. Knut sah alles von unten – eine Art umgedrehte Wirklichkeit. Doch nicht nur die verzerrte Perspektive verwirrte ihn. Einige Treppenstufen über ihm saß eine zusammengesunkene Gestalt mit dem Kopf auf der Brust.
    Jewgeni Iwanowitsch Rostov, der russische Detektiv, hob langsam den Blick. Die Augen waren matt. Eine Seite seines braunen, zerschlissenen Anoraks war zerrissen und rot vor Blut, das langsam aus einer Wunde pumpte, die Knut nicht sehen konnte. Er trug keine Mütze. Eine Bühne , dachte Knut. Ein Theaterstück. Das kann nicht die Realität sein.
    »Ah, du lebst noch«, sagte der Russe. Er schien nicht überrascht zu sein.
    Knut musste die Frage stellen, so absurd sie auch war. »Was machst du hier?«
    Der Russe bewegte den Kopf hin und her und stöhnte leise mit zusammengepressten Lippen. »Ich wollte hinunter zum Kai, um dich zu warnen. Ich hab dich vom Fenster des Konsulats aus gesehen. Du hast dir verdammt viel Zeit gelassen, bis du aufgetaucht bist.«
    Knut nickte, es war eine Halluzination. Kein Grund, seine Kräfte zu verbrauchen. »Findet da oben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher