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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Jodi Picoult
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stellte sich dabei vor, wie ihre Finger durch sein Haar fuhren und es teilten, bis die lodernden Strähnen sich in ein Prisma roter und honiggelber Strähnen aufspalteten. Nach dem Ende der Schulstunde nahm sie jedesmal die Bücher, die er liegengelassen hatte, räumte sie wieder an die durch das Ordnungssystem vorgegebenen Plätze und schnupperte dabei der Wärme nach, die von Cams Händen noch an den Plastikschutzumschlägen haftete.
    In Wahrheit hatte Cameron MacDonald die meiste Zeit, die sie in demselben Städtchen wohnten, nichts von Allies Existenz gewußt. Sie war viel zu still und schlicht, als daß er sie wahrgenommen hätte. Es gab nur einen einzigen Vorfall in ihrer Zeit an der High-School, bei dem er sie wirklich berührte: Während einer Blutspendeaktion hatten sie nebeneinander auf den Spenderpritschen gelegen, und als sie sich aufsetzte und von ihrer Liege auf den Boden hüpfte, um die versprochenen Kekse und den Saft zu kassieren, drehte sich plötzlich alles um sie herum und wurde schwarz. In Cams Armen wachte sie wieder auf; er war von seiner Liege gesprungen, um sie im Fallen aufzufangen, und hatte dabei versehentlich die Nadel aus seiner Armbeuge gerissen. Erst nach ihrer Heimkehr an jenem Nachmittag hatte Allie gemerkt, daß der Rücken ihrer Bluse mit Cams Blut besprenkelt war.
    Es fiel Allie schwer, ihre Zweifel zu besiegen, ob der Grund für ihre Heirat Jahre später nicht doch damit zusammenhing, daß sie beide zu den wenigen gehörten, die nach dem College wieder in Wheelock auftauchten. Cam war zurückgekehrt, weil man das von ihm erwartete. Allie, weil sie eigentlich nirgendwo sonst sein wollte.
    Wenn sie auf der untersten Leiste des Kühlregals für Schnittblumen stand und den Hals in einem ganz bestimmten Winkel drehte, konnte sie durch das Fenster in Cams Büro im Polizeigebäude blicken und sogar seine über den Schreibtisch gebeugte Silhouette ausmachen. Nur aus diesem Grund hatte sie sich für dieses Grundstück entschieden, als sie vor acht Jahren den Blumenladen eröffnete.
    Sie sah, daß er an seinem Schreibtisch saß, statt auf Streife zu sein, und kam zu dem Schluß, daß sie ihm genausogut gleich seinen Strauß bringen und von Verona erzählen könnte. Also kletterte sie von der Leiste herunter, rieb sich mit den Händen über die Knie, um sie aufzuwärmen, und schloß die Schiebeglastür des Kühlregals. Gedankenverloren strich sie mit den Fingern über die Süßkastanien- und Berberitzenblätter, die den Strauß für Cam begrünten.
    Allie beherrschte die Blumensprache, derzufolge jede Blüte für eine menschliche Eigenschaft steht. Bouquets, die aus ihrem Laden versandt wurden, um zu einer Geburt zu gratulieren, waren voller Margeriten für Unschuld sowie Moos, das Mutterliebe bedeutete. In ihren Arrangements zum Valentinstag fand man natürlich Rosen, aber auch Lilien für Reinheit, Heliotrop für Hingabe und Vergißmeinnicht für wahre Liebe. Oft schickte sie Cam Kreationen voller Botschaften, die er unmöglich verstehen konnte. Kritisch musterte sie ihr neuestes Werk und zählte nickend die Tulpen ab, die den Strauß im wesentlichen ausmachten. In Persien würde ein Mann seiner Angetrauten Tulpen schenken, um zu zeigen, daß er vor Liebe in Flammen stand, so rot wie die Blütenblätter; und daß sein Herz wie Kohle glomm, schwarz wie der Blütengrund.
    Sie füllte die Vase mit Heidekraut-Astern, Sommerastern und Feuerdorn auf. Dann steckte sie, wie immer bei Cams Sträußen, so viel Stengel Purpurklee dazu wie möglich, ohne daß die Blumen darin untergingen. Klee, der schlicht und einfach bat: Denk an mich.
    Als sie nach draußen trat, um Cam den Strauß zu bringen, machte sie sich nicht die Mühe, die Tür abzuschließen. Kaum jemand würde es wagen, die Frau des Polizeichefs von Wheelock zu berauben.
    Als sie das Revier betrat, war Hannah gerade am Telefon, winkte sie aber zu Cams geschlossener Bürotür weiter, um ihr mitzuteilen, daß er nicht in einer Besprechung war. »Nein«, sagte sie mit fester Stimme, »wir setzen keine Geisterbeschwörer ein, aber vielen Dank!«
    Allie stellte die große Vase mitten auf dem Schreibtisch ab, an dem die Verhaftungen ausgesprochen wurden, und ging dann weiter in Camerons Büro. Sie klopfte kurz an und hatte die Tür schon mit der Schulter aufgedrückt, ehe Cam sie hereinbitten konnte. Er schlief, den Kopf auf der Schreibtischplatte in beide Arme gebettet.
    Lächelnd schlich sich Allie um seinen Stuhl herum und fuhr mit den
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