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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Jodi Picoult
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ausgestattet. Man konnte zwar durch das Glas sehen, aber alles wirkte plump und verzerrt. Cam starrte angestrengt hindurch, bis er die Umrisse dessen ausmachen konnte, was wohl Mia sein mußte, und er begriff, daß das genügte.
    In seinem Traum lächelte Allie ihn an. »Kommst du?«
    Er wußte nicht, wohin, doch er nickte. Und folgte ihr ohne Widerstreben.
    Das Adrenalin verflog mit jeder Meile, die sie in Cams Auto dahinbrausten, bis Allie, als sie in ihre Einfahrt bogen, nicht mehr wußte, wie sie die Beine aus dem Wagen heben oder es gar bis ins Haus schaffen sollte. Sie lächelte immer noch, doch ihr Lächeln galt Jamie.
    Es stand in den Sternen, was sie und Cam jetzt tun sollten, nachdem der Prozeß zu Ende war. Der hatte als Puffer zwischen ihnen gedient und später als erste zaghafte Brücke. Cam würde keine Punkte mehr machen können, indem er sich im Gericht neben sie setzte oder indem er Jamie höflich die Hand schüttelte, sobald er dort eintraf. Jetzt hatten Allie und Cam nur noch einander.
    Ihr fiel wieder ein, welche Todesängste sie in ihrer Hochzeitsnacht ausgestanden hatte. Es war nicht der Sex; den hatten sie bereits hinter sich gebracht. Sondern die Tatsache, daß sie, nachdem sie die Hochzeitsfeier verlassen und ins Wheelock Inn zurückgekehrt waren, sich der unwiderruflichen Tatsache bewußt wurde, von nun an wahrhaftig bis an ihr Lebensende mit Cam zusammenzuleben. Ihre Finger hatten gezittert, als sie den Gürtel um seinen Kilt gelöst und sein frisch gestärktes weißes Hemd aufgeknöpft hatte. Cam neckte sie deswegen, doch ihr machte nicht nur dieser eine Abend angst. Ihr bangte vor dem nächsten Abend und dem übernächsten und dem Abend danach; davor, daß sie einander vertrauen müßten, daß sie eben erst am Anfang standen und noch einen so endlosen Weg vor sich hatten.
    In ihrer Hochzeitsnacht hatte sie Streit mit Cam gesucht. Er hatte etwas völlig Harmloses verbrochen – nämlich beim Ausziehen ihren Strumpf zerrissen –, doch sie hatte angefangen zu weinen. Unbeherrscht brüllte sie, er passe nicht auf, er sei unvorsichtig, und was das wohl für ein Omen sei? Cam hielt sie einfach fest, ihr ruhiger Held wie immer, bis sie sich nicht mehr wehrte. Seine Küsse waren derart überzeugend, daß das Morgen keine so große Rolle spielte, wenn man sich nur genug auf das Hier und jetzt konzentrierte.
    Momentan bebten Allies Hände wieder, als sie den Schlüssel in das Schloß der hinteren Eingangstür steckte, durch die man in die Küche gelangte. Ihr Blick fiel auf ein Glas Saft, das Cam auf der Küchentheke hatte stehen lassen. Traubensaft. Allie marschierte vorwärts, dicht gefolgt von Cam. Sie hob das Glas hoch. Auf dem weißen Resopal prangte ein tieflila Fleck.
    Sie schnappte sich einen Schwamm und begann, auf dem Fleck herumzuschrubben. »Ich fasse es nicht, daß du so was immer wieder tust«, meckerte sie. Sie hörte, wie er den Reißverschluß seiner Jacke aufzog und sie über einen Stuhl hängte. Allie war immer noch in Mantel, Hut, Schal.
    Als sie den Schwamm wegnahm, erschien der Ring schon ein bißchen blasser, doch er war immer noch zu sehen, klar und deutlich. Jeder Mensch wußte, daß Traubensaft Flecken machte. Cam wußte es. Wie oft hatte sie ihm das schon erklärt?
    »Der wird nie wieder rausgehen«, schimpfte sie, beugte sich über die Theke und schrubbte noch einmal mit der Scheuerseite ihres Spülschwamms nach. Ihre Hand begann weh zu tun, und ihre Knöchel wurden rot.
    Sie war so damit beschäftigt, den Makel zu beseitigen, daß sie gar nicht hörte, wie Cam hinter sie trat. Er legte seine Hand auf ihre und drückte den Schwamm darunter platt. Seife quoll wie Leim zwischen ihren Fingern hoch. »Allie«, sagte er gefaßt, »beruhige dich. Gib mir deinen Mantel.«
    Aber sie wollte sich nicht beruhigen. Sie wußte, daß sie irrational handelte, und hatte das Gefühl, die ganze Szene von einem der freiliegenden Deckenträger aus zu beobachten. Natürlich ging es ihr nicht um den Traubensaftfleck. Und dennoch schossen ihr hundert Fragen durch den Kopf. Was, wenn sie eines Tages das Haus verkaufen wollten? Wenn sie es noch einmal mit Clorox versuchte? Warum begriff er nicht, daß ihr Blick jedesmal, wenn sie in die Küche kam, magisch von diesem Fleck angezogen würde?
    »Allie«, flehte Cam nochmals. Er drückte sie an sich, zog den Reißverschluß ihres Mantels auf, nahm ihr den Hut ab. Auch den Schal zog er von ihrem Hals. Dann deckte er wieder ihre Hand mit seiner zu.
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