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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition)
Autoren: Charlotte Rogan
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dass es in einem Rettungsboot sehr nass werden könne. »Das werden Sie schon noch erleben«, fügte er hinzu. Die meisten von uns trugen Schwimmwesten, die in unseren Kabinen verstaut gewesen waren. Aber in dem Tumult, der dem Untergang des Schiffes vorausging, hatte nicht jeder die Zeit oder die Geistesgegenwart gehabt, sich mit einer Schwimmweste zu versorgen. Mr Hardie, zwei Schwestern, die eng aneinandergedrängt dasaßen und kaum etwas sagten, und ein älterer Herr namens Michael Turner gehörten zu diesen Personen.
    Kurz nachdem ich auf meinen Platz zurückgekehrt war, öffnete Mr Hardie eine der Dosen und machte uns mit Schiffszwieback bekannt, steinharten, quadratischen, etwa handtellergroßen Gebäckstücken, die man erst schlucken konnte, wenn man sie mit Speichel oder Wasser eingeweicht hatte. Ich behielt den Zwieback zwischen den Lippen, bis sich Krümel davon lösten, und schaute hinauf in den nicht gänzlich schwarzen Nachthimmel auf die Myriaden von Sternen, die dort funkelten, schaute in die Endlosigkeit der Atmosphäre, die das Einzige war, was noch gewaltiger war als das Meer, und schickte ein Gebet an die Kraft der Natur, die uns an diesen Ort und in diese Lage versetzt hatten, auf dass sie meinen Henry beschützen möge.
    Ich war voller Hoffnung, aber rechts und links von mir sackten die Frauen in sich zusammen und fingen an zu weinen. Mr Hardie stand in dem schwankenden Boot auf und sagte: »Ihre Lieben mögen tot sein oder gerettet. Aber es besteht eine gute Chance, dass sie es in eins der anderen Rettungsboote geschafft haben. Und daher sollten Sie nicht das Wasser Ihres Körpers mit dieser Heulerei verschwenden.« Trotz seiner Worte gellten Jammerklagen und Wimmern durch die Nacht. Ich fühlte die junge Frau neben mir hin und wieder erzittern, und einmal stieß sie ein kehliges, fast unmenschliches Schluchzen aus. Ich berührte sie sanft an der Schulter, aber die Geste schien sie nur noch mehr aufzuwühlen, und so zog ich meine Hand wieder weg und lauschte der besänftigenden Musik des Wassers, das gegen die Seiten des Bootes plätscherte. Mrs Grant kletterte von einer Bank zur anderen und tat ihr Bestes, um die Verzweifelten zu trösten, bis Mr Hardie sie anwies, sich wieder zu setzen. Uns anderen erklärte er, dass wir gut daran täten, uns auszuruhen. Wir folgten seinen Anweisungen und versuchten, es uns irgendwie bequem zu machen, lehnten uns aneinander und erbaten oder boten uns gegenseitig Halt, je nach unseren Bedürfnissen und Möglichkeiten. Und trotz allem fanden die meisten von uns tatsächlich Schlaf.

Zweiter Tag
    Als wir am Morgen des zweiten Tages erwachten, hatte Mr Hardie eine Aufgabenverteilung festgelegt, die unter anderem verschiedene Schichten an den Rudern vorsah. Dies betraf die Kräftigsten unter uns, nämlich Mrs Grant und alle Männer, außer dem schwächlichen Mr Turner, die daraufhin die Plätze an den Ruderdollen einnahmen und sich an den vier Riemen abwechselten, wann immer Mr Hardie ihnen zu rudern befahl. Er nahm sich Zeit, die Windrichtung und die Strömung abzuschätzen, und ich hörte, wie er einem Mann, der in seiner Nähe saß, erklärte, dass mithilfe der Ruder ein Abtreiben verhindert werden würde, denn es wäre das Beste für uns, in der Nähe der Stelle zu bleiben, wo sich der Schiffbruch ereignet hatte. Der Rest von uns wurde zum Wasserschöpfen eingeteilt. Das Boot lag sehr tief im Wasser, und obwohl kaum Wind ging, kam immer wieder eine Welle über die Reling, die Mr Hardie im Übrigen Dollbord nannte, sodass unsere Kleidung und die Decken, die auf einem kleinen Stapel lagen, ständig Gefahr liefen, durchnässt zu werden. Am schlimmsten war es für jene, die vorne und hinten im Boot saßen oder auf den beiden langen Bänken, die entlang der Seiten verliefen. Sie boten den anderen, die das Glück hatten, auf den Querbänken des Bootes zu sitzen, eine Art Schutzwall gegen die Gischt.
    Nachdem er eine Ration Schiffszwieback und Wasser ausgegeben hatte, forderte uns Mr Hardie auf, die Decken und die Abdeckplane des Rettungsbootes im spitz zulaufenden Bug dergestalt zu arrangieren, dass die Plane die Decken sowohl vor der spritzenden Gischt als auch vor dem Wasser schützte, das sich auf dem Boden des Bootes ansammelte. Er erklärte, dass die Frauen sich dort abwechselnd hinlegen und ausruhen konnten, jeweils zu dritt, allerdings nicht länger als zwei Stunden. Es befanden sich dreißig Frauen und ein Kind – der kleine Charles – im Boot, und so
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