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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land
Autoren: Ernest Hemingway
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sind süß», sagte sie.
    «Nein, das bin ich nicht.»
    «Doch, Sie sind süß. Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich Ihnen einen Kuß geben.»
    Ich sah ihr in die Augen und legte meinen Arm um sie, wie ich's vorher getan hatte, und küßte sie. Ich küßte sie heftig und hielt sie eng an mich und versuchte ihre Lippen zu öffnen. Sie waren fest geschlossen. Ich war immer noch wütend, und als ich sie hielt, erzitterte sie plötzlich. Ich hielt sie eng an mich und konnte ihr Herz schlagen hören, und ihre Lippen öffneten sich, und ihr Kopf sank zurück gegen meine Hand, und dann weinte sie an meiner Schulter.
    «Liebster», sagte sie, «nicht wahr, du wirst gut zu mir sein?»
    Zum Teufel, dachte ich bei mir. Ich streichelte ihr Haar und tätschelte ihre Schulter. Sie weinte.
    «Nicht wahr, du wirst doch?» Sie sah zu mir auf. «Weißt du, weil wir ein seltsames Leben vor uns haben.»
    Nach einer Weile brachte ich sie zur Tür der Villa, und sie ging hinein, und ich ging nach Hause. In unserer Villa angelangt ging ich die Treppe hinauf in mein Zimmer. Rinaldi lag auf seinem Bett. Er sah mich an.
    «Machst also Fortschritte mit Miss Barkley?»
    «Wir sind gute Freunde.»
    «Du hast das angenehme Aussehen eines läufigen Hundes.»
    Ich verstand den Ausdruck nicht.
    «Wie?»
    Er erklärte.
    «Und du», sagte ich, «hast das angenehme Aussehen eines Hundes, der -»
    «Halt», sagte er. «Über kurz oder lang würden wir uns sonst beschimpfen.» Er lachte.
    «Gute Nacht», sagte ich.
    «Gute Nacht, Hundchen.»
    Ich stieß sein Licht mit meinem Kissen um und kroch im Dunkeln in mein Bett.
    Rinaldi hob das Licht auf, zündete es wieder an und las weiter.

06
    Ich war zwei Tage lang weg bei den Sanitätsposten. Als ich zurückkam war es zu spät, und ich sah Miss Barkley erst am nächsten Abend. Sie war nicht im Garten, und ich mußte im Büro des Lazaretts warten, bis sie herunterkam. In dem Raum, der als Büro benutzt wurde, standen eine Menge Marmorbüsten auf bemalten, hölzernen Säulen an der Wand. Auch die Halle, auf die das Büro mündete, war mit ihnen umsäumt. Sie hatten die typische Marmoreigenschaft: sie sahen eine wie die andere aus. Skulpturen schienen mir immer eine langweilige Angelegenheit, aber Bronzen sahen doch irgendwie aus. Marmorbüsten dagegen sahen immer wie Kirchhof aus. Trotzdem - es gab einen wunderbaren Kirchhof - den in Pisa. Genua hingegen war der Ort, um schlechte Marmorbüsten zu sehen. Dies war die Villa eines sehr wohlhabenden Deutschen gewesen, und die Büsten hatten ihn sicherlich allerhand gekostet. Wer sie wohl gemacht hatte und wieviel er wohl bekommen hatte? Ich versuchte herauszubekommen, ob es Familienmitglieder waren, oder was sonst, aber sie waren alle, eine wie die andere, klassisch. Es ließ sich nichts über sie aussagen. Ich saß auf einem Stuhl und hielt meine Mütze in der Hand. Wir sollten eigentlich auch in Gorizia Stahlhelme tragen, aber sie waren unbequem und in einer Stadt, die von der Zivilbevölkerung nicht geräumt war, zu theatralisch. Ich trug meinen, wenn ich zu den Sanitätssammelplätzen vorging, und hatte eine englische Gasmaske bei mir. Wir bekamen gerade die ersten. Es waren wirkliche Masken. Wir sollten außerdem einen Repetierrevolver tragen, selbst die Ärzte und Sanitätsoffiziere. Ich fühlte ihn gegen die Stuhllehne. Man konnte verhaftet werden, falls man ihn nicht offen sichtbar trug. Rinaldi trug eine Pistolentasche mit Toilettenpapier ausgestopft. Ich trug einen richtigen und fühlte mich als Schütze, bis ich mich in seinem Gebrauch übte. Es war eine Astra, 7.65 Kaliber, mit einem kurzen Lauf, und sie bockte so heftig, wenn man sie abdrückte, daß an Treffen gar nicht zu denken war. Ich übte damit und zielte unter die Scheibe und versuchte, den Stoß des lächerlich kurzen Laufs zu beherrschen, bis ich auf zwanzig Schritt mein Ziel im Umkreis von einem Meter treffen konnte, und dann fand ich es lächerlich, überhaupt einen Revolver zu tragen, und bald hatte ich ihn vergessen und ließ ihn gegen mein Kreuz baumeln ohne irgendein Gefühl; nur wenn ich englisch sprechende Leute traf, empfand ich ein unbestimmtes Schamgefühl. Jetzt saß ich auf einem Stuhl und irgendso ein Ordonnanzoffizier sah mich über seinen Schreibtisch mißbilligend an, während ich den Marmorfußboden, die Säulen mit den Marmorbüsten und die Fresken an den Wänden betrachtete und auf Miss Barkley wartete. Die Fresken waren nicht schlecht. Alle Fresken werden gut,
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