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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land
Autoren: Ernest Hemingway
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wollte sie küssen.
    «Nicht», sagte sie. «Ich bin schrecklich müde.»
    «Gib mir trotzdem einen Kuß», sagte ich.
    «Ich bin schrecklich müde, Liebling.»
    «Einen Kuß.»
    «Willst du wirklich so gern?»
    «Ja.»
    Wir küßten uns und plötzlich riß sie sich los. «Nein. Gute Nacht, bitte, Liebling.» Wir gingen bis zur Tür, und ich sah, wie sie hinein - und durch die Halle ging. Ich sah gern zu, wenn sie sich bewegte. Sie ging weiter durch die Halle, und ich ging weiter nach Hause. Es war eine heiße Nacht, und oben in den Bergen ging allerhand vor. Ich beobachtete das Mündungsfeuer auf San Gabriele.
    Ich blieb vor der Villa Rossa stehen. Die Fensterladen waren offen, aber drinnen war noch Betrieb. Jemand sang. Ich ging weiter, nach Hause. Rinaldi kam herein, während ich mich auszog.
    «Aha», sagte er, «es geht nicht so gut. Der Kleine steht vor einem Rätsel.»
    «Wo warst du?»
    «In der Villa Rossa. Es war sehr erbaulich, Kleiner. Wir haben alle gesungen. Und was hast du gemacht?»
    «Die Engländer besucht.»
    «Na, Gott sei Dank hab ich mich nicht mit den Engländern eingelassen.»

07
    Am folgenden Nachmittag kam ich von unserem vordersten Gebirgsposten zurück und hielt den Wagen beim Smistamento an, wo man die Verwundeten und Kranken nach ihren Papieren einteilte und wo die Papiere mit Vermerken für die verschiedenen Lazarette versehen wurden. Ich war gefahren und blieb sitzen, und der Fahrer ging mit den Papieren hinein. Es war ein heißer Tag, und der Himmel war sehr klar und blau, und die Straße war weiß und staubig. Ich saß auf dem Führersitz unseres Fiat und döste. Ein Regiment marschierte auf der Straße an mir vorbei, und ich sah zu, wie sie vorbeikamen. Die Leute waren heiß und schwitzten. Manche trugen ihre Stahlhelme, aber bei den meisten baumelten sie vom Tornister herunter. Die meisten Helme waren zu groß und gingen den Leuten beinahe über die Ohren. Die Offiziere trugen alle Helme, besser passende Helme. Es war die halbe Brigata Basilicata. Ich erkannte sie an ihren rot und weiß gestreiften Kragenlitzen. Es kamen Nachzügler vorbei, lange nachdem das Regiment vorüber war - Leute, die nicht mit ihrem Zug Schritt halten konnten. Sie schwitzten, waren staubig und müde. Manche sahen recht jämmerlich aus. Ein Soldat kam hinter den letzten Nachzüglern her. Er humpelte beim Gehen. Er blieb stehen und setzte sich an den Straßenrand. Ich stieg aus und ging zu ihm.
    «Was ist los?»
    Er sah mich an und stand auf.
    «Ich geh schon weiter!»
    «Was ist denn los?»
    «... der Krieg.»
    «Was ist denn mit deinem Bein?»
    «Is nicht das Bein. Ich hab einen Bruch.»
    «Warum fährst du nicht mit dem Verwundetentransport?» fragte ich. «Warum gehst du nicht ins Lazarett?»
    «Die lassen mich ja nicht. Der Leutnant sagt, ich hätte das Bruchband mit Absicht verloren.»
    «Laß mich mal fühlen.»
    «Es steht ein ganzes Stück raus.»
    «Auf welcher Seite?»
    «Hier.»
    «Huste mal», sagte ich.
    «Ich hab Angst, daß es schlimmer davon wird. Es ist doppelt so groß wie heute früh.»
    «Setz dich», sagte ich. «Sobald ich die Papiere für die Verwundeten hier habe, werde ich dich mitnehmen und dich bei deinem Sanitätsoffizier abladen.»
    «Er sagt bestimmt, daß ich's mit Absicht getan habe.»
    «Sie können dir nichts anhaben», sagte ich. «Es ist doch keine Verletzung. Du hattest es doch schon vorher, nicht wahr?»
    «Aber ich hab doch das Bruchband verloren.»
    «Man wird dich in ein Lazarett schicken.»
    «Kann ich nicht hierbleiben, Signor Tenente?»
    «Nein, ich hab keine Papiere für dich.»
    Die Fahrer kam mit den Papieren für die Verwundeten, die wir im Wagen hatten, heraus.
    «Vier für 105, zwei für 132», sagte er. Es waren Lazarette jenseits des Flusses.
    «Fahr du», sagte ich. Ich half dem Soldaten mit dem Bruch neben uns auf den Sitz.
    «Sprechen Sie Englisch?» fragte er.
    «Ja.»
    «Wie gefällt Ihnen dieser Saukrieg?»
    «Schweinerei.»
    «Und ob das eine Schweinerei ist. Herrgott, was für eine Schweinerei!»
    «Warst du drüben in den Staaten?»
    «Gewiß doch. In Pittsburgh. Ich wußte gleich, daß Sie Amerikaner sind.»
    «Sprech ich denn kein gutes Italienisch?»
    «Trotzdem, ich wußte sofort, daß Sie Amerikaner sind.»
    «Noch ein Amerikaner», sagte der Fahrer auf italienisch und sah den Mann mit dem Bruch an.
    «Hören Sie mal, Lieutenant, müssen Sie mich beim Regiment abliefern?»
    «Ja.»
    «Nämlich weil der Stabsarzt - weiß, daß ich einen Bruch
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