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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land
Autoren: Ernest Hemingway
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Pontonbrücke bringen würde. Ich wäre gern die neue Straße entlanggefahren, sie war aber noch nicht fertig. Sie sah breit aus und schien gut angelegt zu sein, mit ordentlichem Gefälle und sehr eindrucksvollen Kurven, wenigstens sah es, wo man sie auf dem Berghang durch die Lichtungen im Wald sehen konnte, so aus. Den Wagen mit ihren schweren Stahlbremsen konnte nicht viel passieren, und beim Runterfahren waren sie ja sowieso leer. Ich fuhr die schmale Straße zurück.
    Zwei Carabinieri hielten den Wagen an. Eine Granate war eingeschlagen, und während wir warteten, schlugen noch drei auf der Straße ein. Es waren Siebenundsiebziger, und sie kamen mit einem zischenden Luftstoß, einem harten, hellen Knall und Aufflammen, und dann wehte grauer Rauch über die Straße. Die Carabinieri winkten uns zu, weiterzufahren. Als ich das Stück passierte, wo die Granaten eingeschlagen waren, vermied ich die kleinen, aufgerissenen Stellen. Ich roch den Explosivstoff und den Geruch versengter Erde und Steine und frischgestreuten Schotters. Ich fuhr nach Gorizia zurück zu unserer Villa und ging, wie ich schon sagte, Miss Barkley besuchen, die Dienst hatte.
    Abends aß ich sehr schnell und brach nach der Villa auf, in der die Engländer ihr Lazarett hatten. Es war wirklich sehr groß und schön, und es gab herrliche Bäume auf dem Grundstück. Miss Barkley saß auf einer Bank im Garten. Miss Ferguson war bei ihr. Offensichtlich freuten sie sich über mein Kommen, und nach kurzer Zeit verschwand Miss Ferguson mit einer Entschuldigung. «Ich laß euch beide allein», sagte sie. «Ihr werdet ja ganz gut ohne mich fertig.»
    «Bleib doch, Helen», sagte Miss Barkley.
    «Ich möchte wirklich lieber gehen», sagte sie. «Ich muß ein paar Briefe schreiben.»
    «Gute Nacht», sagte ich.
    «Gute Nacht, Mr. Henry.»
    «Schreiben Sie nichts, was den Zensor beunruhigen könnte.»
    «Keine Sorge. Ich schreibe nur, wie wunderschön es hier ist und wie tapfer die Italiener sind.»
    «Auf die Art werden Sie einen Orden bekommen.»
    «Das wäre fein. Gute Nacht, Catherine.»
    «Ich komme sehr bald», sagte Miss Barkley. Miss Ferguson verschwand im Dunkeln.
    «Sie ist nett», sagte ich.
    «O ja, sie ist sehr nett. Sie ist Krankenschwester.»
    «Sind Sie keine Schwester?»
    «O nein, ich bin eine sogenannte V. A. D. Wir schuften, aber keiner traut uns recht.»
    «Warum nicht?»
    «Man traut uns nicht, wenn nichts los ist. Wenn's wirklich Arbeit gibt, verläßt man sich schon auf uns.»
    «Was ist denn der Unterschied?»
    «Eine Schwester ist wie ein Arzt. Es dauert sehr lange, bis man so weit ist. V. A. D. ist ein Abschneider.»
    «Jetzt verstehe ich.»
    «Die Italiener wollten keine Frauen so dicht an der Front. Deshalb sind wir alle unter besonders strenger Aufsicht. Wir dürfen nicht ausgehen.»
    «Ich kann doch aber herkommen.»
    «O ja, wir sind nicht im Kloster.»
    «Lassen wir den Krieg.»
    «Sehr schwierig, man kann ihn nie lassen.»
    «Lassen wir ihn, wie dem auch sei.»
    «Gut.»
    Wir sahen uns im Dunkeln an. Ich fand sie sehr schön und nahm ihre Hand. Sie ließ es zu, und ich hielt sie fest und legte meinen Arm um sie.
    «Nein», sagte sie. Ich ließ meinen Arm, wo er war.
    «Warum nicht?»
    «Nein.»
    «Doch», sagte ich, «bitte.» Ich beugte mich im Dunkeln vor, um sie zu küssen, und spürte ein scharfes, brennendes Aufflammen. Sie hatte mich heftig ins Gesicht geschlagen. Ihre Hand hatte meine Nase und meine Augen getroffen, und Tränen traten mir als Reflex in die Augen.
    «Es tut mir leid», sagte sie. Ich fühlte, daß ich jetzt im Vorteil war.
    «Sie hatten ganz recht.»
    «Es tut mir schrecklich leid», sagte sie, «ich konnte nur diese Schwester-Abend-Ausgeh-Seite der Sache nicht vertragen. Ich wollte Ihnen nicht weh tun. Ich habe Ihnen weh getan, nicht wahr?»
    Sie sah mich im Dunkeln an. Ich war wütend und doch meiner Sache sicher; ich sah alles voraus, wie die Züge beim Schachspiel.
    «Sie waren vollkommen im Recht», sagte ich, «es schadet gar nichts.»
    «Sie Armer.»
    «Sehen Sie, ich hab so eine komische Art von Leben geführt. Und ich hab fast nie Gelegenheit, englisch zu sprechen. Und dann sind Sie so sehr schön.» Ich sah sie an.
    «Sie brauchen nicht so viel Unsinn zu reden. Ich hab doch gesagt, daß es mir leid tut. Wir verstehen uns doch ganz gut.»
    «Ja», sagte ich, «und wir sind vom Krieg abgekommen.»
    Sie lachte. Es war das erste Mal, daß ich sie lachen hörte. Ich beobachtete ihr Gesicht.
    «Sie
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