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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Autoren: Nicole C. Vosseler
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hatten sie fast im selben Atemzug mit glänzenden Augen herausgesprudelt, was ich dort drüben doch alles sehen und erleben könnte, und manchmal hatten sie fast ein bisschen neidisch geklungen. Als ob ich in einem Preisausschreiben gewonnen hätte. Sie taten gerade so, als wechselte ich einfach die Schule oder würde in einen Nachbarort umziehen und wäre in den nächsten zwei Jahren nur einen Katzensprung entfernt. Mir kam es vor, als lebten sie in einer anderen Welt. In der das Schlimmste, was einem zustoßen konnte, darin bestand, dass man wegen der Fünf in Mathe sitzen blieb. Dass die Eltern sich scheiden ließen wie die von Hannes oder häufig stritten wie bei Sandra. Während ich einfach aus dieser Welt herausgefallen war, hinein in eine, in der eine Mutter von heute auf morgen todkrank werden und niemand etwas dagegen tun konnte. Eine Welt, in der einfach nichts mehr stimmt und in der man ziemlich allein herumhockt, weil man von den anderen wie durch eine Glasscheibe getrennt ist.
    »Kommst du?« Ted stand neben der offen stehenden Tür eines erbsengrünen Taxis, das mit Fog City Cab beschriftet war. Eine dicke Nebelsuppe hätte definitiv besser zu meiner Laune gepasst. Der Fahrer hob gerade Teds Trolley in den Kofferraum; als ich näher schlurfte, warf er meinen Koffer mit seinen immerhin beachtlichen 23,8 Kilo schwungvoll hinterher. »Rutsch rüber und schnall dich an!«
    Ich schob mich auf die andere Seite des Rücksitzes, verstaute meinen Rucksack im Fußraum und sortierte erst mal meine müden Arme und Beine.
    »Nob Hill, bitte«, rief Ted dem Fahrer zu, der schon auf seinen Sitz gehüpft war und den Motor anließ. Das Autoradio sprang mit an und füllte unter stampfenden Rhythmen den Innenraum mit plärrendem Latino-Pop, während ich gerade anfing, mich aus meiner Jacke zu pellen. »Eins-vier-sieben-vier Sacramento Street. – Amber! Anschnallen!«
    »Jaa doch! Ich bin kein Baby mehr!«, schimpfte ich vor mich hin, griff aber trotzdem nach der Gurtschnalle. Ich hatte sie kaum einrasten lassen, als das Taxi unter aufheulendem Motor ruckartig ausscherte und mit quietschenden Reifen so scharf anfuhr, dass es mich in den Sitz zurückschleuderte, bevor der Fahrer das Gaspedal durchtrat und die Straße entlangraste.
    Erschrocken sah ich Ted an. Ein Schmunzeln vertiefte die Kerben beiderseits seiner Mundwinkel. »Das ist Taxifahren in San Francisco.«
    Na prima. Ich hatte gerade erst einen Langstreckenflug inklusive Landung auf der ins Wasser gebauten Piste überstanden, die mir den Magen umgedreht hatte, nur um in einer Stadt mit wild gewordenen Taxifahrern anzukommen. Hoffentlich erfüllten die milde lächelnde Madonna mit dem goldenen Heiligenschein auf dem Armaturenbrett und der heftig schaukelnde Rosenkranz am Rückspiegel ihren Zweck.
    »Im Urlaub gewesen?«, erkundigte sich der Fahrer, ein schmaler schwarzhaariger und schnauzbärtiger Mann mit dunklem Teint, dessen Amerikanisch von einem harten Akzent unterlegt war. Interessiert musterte er Ted im Rückspiegel, während er ganz nebenbei den Wagen in den Verkehr auf der Autobahn einfädelte.
    »Familienangelegenheiten«, erwiderte Ted und warf mir einen Seitenblick zu. »Ich habe meine Tochter zu mir geholt.«
    »Ihre Tochter?« Die Augen im Rückspiegel richteten sich neugierig auf mich und ich rutschte tiefer in den Sitz; ich ahnte, was gleich kommen würde. »Da haben Sie ja früh angefangen«, setzte er prompt mit einem rauen Lachen hinzu.
    Ich verdrehte die Augen. Die Leute klangen immer, als sei ich das Ergebnis einer Teenager-Schwangerschaft gewesen; dabei war Mam zweiundzwanzig gewesen, als sie mich bekommen hatte, und Ted gerade mal ein Jahr jünger.
    »Schau.« Ted zeigte über die Wasserfläche rechts neben der Straße. Ich konnte noch einen Blick auf das von Scheinwerfermasten gekrönte Oval eines kleinen Stadions am Ufer werfen, bevor es hinter einem verschachtelten Apartmentkomplex am Fuß eines Hügels verschwand. »Der Candlestick Park«, erklärte Ted. »Da spielen die Giants. – Baseball«, setzte er hinzu. »Wenn du Lust hast, besorg ich uns mal Karten.«
    »Ich mach mir nicht so viel aus Sport«, murmelte ich und kratzte einen getrockneten Klecks Pseudo-Rührei vom Oberschenkel meiner Jeans.
    »Das war aber früher anders.« Ted klang irritiert; offenbar erinnerte er sich an den einen Sommer, in dem er bei uns zu Besuch gewesen war und mit Mam und mir Fußball- WM gucken musste und wir ihm erst mal mit Flaschendeckeln im leeren
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