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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe
Autoren: Tess Gerritsen
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durfte sich keine Ruhepause gönnen; jede Sekunde zählte.
    Er nahm einen Schraubenzieher und einen Schlosserhammer mit kugelförmiger Finne zur Hand.
    Lieber Gott, mach, dass es funktioniert. Dass ich sie retten kann.
    Den Schraubenzieher als Meißel benutzend, trieb er die Spitze behutsam in die Schädeldecke. Dann biss er die Zähne zusammen und hebelte den kreisförmigen Knochendeckel heraus.
    Ein Schwall Blut schoss hervor. Durch die vergrößerte Öffnung konnte es endlich entweichen, und nach und nach und nach floss es ganz aus der Schädelhöhle ab.
    Und noch etwas trat aus.
Eier.
Ein ganzer Klumpen davon schoss heraus und blieb zitternd in der Luft hängen. Er saugte sie mit dem Katheter in den Vakuumbehälter, wo sie keinen Schaden mehr anrichten konnten. Die kleinsten Lebensformen waren zu allen Zeiten die gefährlichsten Feinde des Menschen gewesen. Viren. Bakterien. Parasiten.
Und jetzt ihr,
dachte Jack und starrte den Behälter an.
Aber wir können euch besiegen.
    Jetzt sickerten nur noch wenige Blutstropfen aus der Schädelöffnung. Ihr Gehirn war von dem tödlichen Druck befreit.
    Er sah in Emmas linkes Auge. Die Pupille war immer noch erweitert. Doch als er mit einer Taschenlampe hineinleuchtete, hatte er den Eindruck – oder war es nur Einbildung? –, dass die Ränder ganz leicht zitterten, wie Wellen in einem Teich mit schwarzem Wasser, die zur Mitte hin treiben.
    Du
wirst
es überleben,
dachte er.
    Er drückte eine Mullbinde auf die Wunde und legte einen neuen intravenösen Zugang mit Steroiden und Phenobarbital, um sie vorübergehend in ein tieferes Koma zu versetzen und ihr Gehirn vor weiteren Schäden zu bewahren. Dann schloss er sie an das EKG an. Erst nachdem all das erledigt war, legte er endlich ein Stauband um seinen eigenen Arm und injizierte sich eine Dosis Ranaviren. Es würde sie entweder beide retten oder beide töten. Er würde es bald erfahren.
    Auf dem EKG-Monitor beschrieb Emmas Herz einen regelmäßigen Sinusrhythmus. Er nahm ihre Hand und wartete auf ein Zeichen.

27. August
    Gordon Obie betrat den SVO-Kontrollraum und ließ den Blick über die an ihren Konsolen arbeitenden Männer und Frauen schweifen. Der Großbildschirm mit der Weltkarte zeigte die gewundene Flugbahn der Raumstation an. In diesem Moment würden Dorfbewohner in der algerischen Wüste, die zufällig zum Himmel schauten, erstaunt einen merkwürdigen Stern erblicken, der über das Firmament zog, strahlender noch als die Venus. Einen Stern, der im ganzen Universum nicht seinesgleichen hatte, denn er war nicht von einem allmächtigen Gott oder von irgendwelchen Naturgewalten erschaffen worden, sondern von der schwachen Hand des Menschen.
    Und hier in diesem Raum, eine halbe Erdumrundung von der algerischen Wüste entfernt, saßen die Hüter dieses Sterns.
    Flugdirektor Woody Ellis drehte sich um und begrüßte Gordon mit einem traurigen Nicken. »Kein Ton. Nichts zu hören von da oben.«
    »Wie lange ist der letzte Funkkontakt her?«
    »Jack hat sich vor fünf Stunden abgemeldet, um ein wenig zu schlafen. Er hat sich seit drei Tagen nicht mehr richtig ausruhen können. Wir sollten ihn nicht stören.«
    Drei Tage, und in Emmas Zustand war immer noch keine Veränderung eingetreten. Gordon seufzte und ging die hintere Reihe entlang zu der Konsole des Flight Surgeon. Dort saß Todd Cutler, unrasiert und mit fahlem Gesicht, und verfolgte Emmas Biotelemetriewerte auf dem Monitor.
Und wann hat Todd das letzte Mal geschlafen?,
fragte Gordon sich. Alle sahen erschöpft aus, aber niemand war bereit, die Niederlage einzugestehen.
    »Sie hält immer noch durch«, sagte Todd leise. »Wir haben das Phenobarbital abgesetzt.«
    »Aber sie ist nicht aus dem Koma erwacht?«
    »Nein.« Seufzend lehnte Todd sich zurück und kniff sich in die Nasenwurzel. »Ich weiß nicht, was ich sonst noch tun soll. So etwas ist mir noch nie vorgekommen. Ein neurochirurgischer Eingriff im Weltraum.«
    Viele von ihnen hatten im Verlauf der letzten Wochen solche Sätze gesagt.
So etwas ist mir noch nie vorgekommen. Das ist mir neu. So etwas haben wir noch nie gesehen.
Aber war das nicht die Quintessenz aller Forschung? Dass keine Krise vorhersehbar war, dass jedes neue Problem seine eigene Lösung erforderte; dass jeder Triumph auf Opfern gründete.
    Und es
hatte
Triumphe gegeben, selbst inmitten all dieser Tragödien. Die
Apogee II
war sicher in der Wüste von Arizona gelandet, und Casper Mulholland handelte gerade den ersten Vertrag seiner Firma
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