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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe
Autoren: Tess Gerritsen
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haben. Leute, die nicht wirklich begriffen haben, womit sie es zu tun hatten. Ich weiß, dass das für Sie enttäuschend ist. Ich verstehe, dass Sie unbedingt jemandem die Schuld geben wollen. Aber in diesem Stück gibt es keine richtigen Schurken, Dr. McCallum. Es gibt nur … Helden.« Er wandte sich wieder um und sah Jack in die Augen.
    Einen Augenblick lang fixierten die beiden Männer einander. Profitt sah kein Anzeichen von Sympathie oder Vertrauen in Jacks Augen. Aber er sah Respekt.
    »Ihre Freunde warten auf Sie«, sagte Profitt.
    Jack nickte. Er ging mit Emma zur Tür des Hangars. Als sie über die Schwelle schritten, strömte helles Sonnenlicht in die Halle, und Profitt musste blinzeln, um die Silhouetten der beiden im Türrahmen sehen zu können. Jack hatte Emma den Arm um die Schultern gelegt, ihr Gesicht war ihm zugewandt. Lauter Jubel ertönte, als sie ins Freie traten und ihre Gestalten im blendenden Licht der Mittagssonne verschwanden.

DIE SEE

28
    Eine Sternschnuppe zog in hohem Bogen über den Himmel und zersprang in tausend glitzernde Fünkchen. Emma schnappte vor Staunen nach Luft und atmete den Duft des Windes über der Bucht von Galveston ein. Seit sie wieder zu Hause war, kam ihr alles neu und seltsam vor. Dieses ununterbrochene Panorama des Himmels. Das Schaukeln des Decks ihres Segelbootes unter ihrem Rücken. Das Geräusch der Wellen, die gegen den Rumpf der
Sanneke
klatschten. Sie hatte so lange auf die einfachsten irdischen Erfahrungen verzichten müssen, dass sie schon die Berührung der Brise, die ihr Gesicht streifte, als kostbares Geschenk empfand. Während der monatelangen Quarantäne an Bord der Station hatte sie auf die Erde hinabgestarrt, voller Heimweh nach dem Geruch des Grases, dem Geschmack der salzigen Meeresluft, der Wärme des Bodens unter ihren nackten Füßen. Sie hatte gedacht:
Wenn ich wieder zu Hause bin – falls ich je wieder nach Hause komme –, werde ich für immer dort bleiben.
    Jetzt war sie also hier, und sie genoss die Dinge der Erde mit allen Sinnen. Und doch ging ihr sehnsüchtiger Blick unwillkürlich hoch zu den Sternen.
    »Wünschst du dir jemals, du könntest wieder fliegen?« Jack hatte so leise gesprochen, dass sich seine Worte fast im Wind verloren. Er lag neben ihr auf dem Deck der
Sanneke,
hielt ihre Hand und blickte wie sie in den Nachthimmel empor. »Denkst du je: ›Wenn sie mir noch eine Chance geben würden, da raufzufliegen, würde ich zugreifen‹?«
    »Jeden Tag«, murmelte sie. »Ist das nicht seltsam? Als wir da oben waren, haben wir von nichts anderem geredet als vom Nachhausekommen. Und jetzt sind wir zu Hause und denken nur daran, wie es wäre, wieder zu fliegen.« Sie fuhr sich mit den Fingern über die Stelle am Kopf, wo die kürzeren Haare als auffallend silberne Strähne nachwuchsen. Sie konnte den vernarbten Wulst noch spüren, wo Jacks Skalpell ihre Kopfhaut und Kopfschwarte durchschnitten hatte. Er war ein bleibendes Andenken an das, was sie an Bord der Station durchlebt hatte. Ein dauerhaftes Zeugnis der schrecklichen Ereignisse, eingemeißelt in ihr Fleisch. Und doch – wenn sie so in den Himmel blickte, empfand sie wieder die alte Sehnsucht nach der Weite des Weltraums.
    »Ich glaube, ich werde nie aufhören, auf eine neue Chance zu hoffen«, sagte sie. »So wie Seeleute immer wieder aufs Meer zurückkehren wollen. Ganz gleich, wie furchtbar die letzte Fahrt war. Ganz gleich, wie inbrünstig sie den Boden küssen, wenn sie an Land kommen. Nach einer Weile vermissen sie die See, und es zieht sie wieder hinaus.«
    Aber sie würde nie ins All zurückkehren. Sie war wie ein Matrose, der ans Land gefesselt ist, umgeben vom Meer, das so verlockend nah wie unerreichbar ist. Der Weg war ihr für immer versperrt, und das lag an der Chimäre.
    Obwohl die Ärzte des JSC und des USAMRIID an ihr keine Anzeichen einer Infektion mehr entdecken konnten, hatten sie keine absolute Gewissheit, dass die Chimäre ausgemerzt war. Sie konnte auch einfach nur ruhen, als scheinbar harmloser Bewohner ihres Körpers unbemerkt weiterleben. Niemand bei der NASA wagte vorherzusagen, was geschehen würde, sollte Emma je wieder an einer Raumfahrt teilnehmen.
    Also würde sie nie zurückkehren. Sie war jetzt einer dieser Geisterastronauten, immer noch Mitglied des Korps, aber ohne Hoffnung, je wieder zu einem Flugeinsatz zu kommen. Andere strebten jetzt danach, den Traum zu verwirklichen. Schon war ein neues Team an Bord der Station, um die
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