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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe
Autoren: Tess Gerritsen
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Meter unter dem Meeresspiegel, und ein Druck von über einhundert Atmosphären umschloss das Boot von allen Seiten wie eine Faust. Ein Leck im Rumpf, und das Wasser würde hineinströmen und ihn zerquetschen.
    »Steve, sagen Sie etwas!«
    Sein Körper war mit kaltem Schweiß bedeckt. Schließlich fand er die Sprache wieder. »Etwas hat mich erschreckt – bin mit der Wand des Cañons kollidiert …«
    »Ist etwas beschädigt?«
    Er warf einen Blick durch die Acrylscheibe. »Kann ich nicht sagen. Ich glaube, ich bin mit dem vorderen Sonarelement gegen die Felswand geknallt.«
    »Sind Sie noch manövrierfähig?«
    Er betätigte die Steuerknüppel und gab dem Boot einen kleinen Ruck Richtung backbord. »Ja. Ja.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich denke, ich bin okay. Irgendetwas ist direkt an meinem Sichtfenster vorbeigeschwommen. Hat mich aus dem Konzept gebracht.«
    »Irgendetwas?«
    »Es war gleich wieder weg! Da war nur dieser Strich – wie eine Schlange, die an einem vorbeizischt.«
    »Sah es aus wie ein Aal mit dem Kopf eines Fischs?«
    »Ja. Ja, genau so etwas habe ich gesehen.«
    »Dann war es eine Aalquappe.
Thermarces cerberus.
«
    Cerberus, dachte Ahearn und schauderte. Der dreiköpfige Hund, der die Pforten der Hölle bewachte.
    »Sie werden von Hitze und Schwefel angelockt«, sagte Helen.
    »Sie werden noch mehr von denen sehen, wenn Sie sich der Spalte nähern.«
    Na, wenn Sie das sagen.
Ahearn wusste so gut wie nichts über Meeresbiologie. Die Lebewesen, die jetzt an seiner Acrylkuppel vorbeischwammen, waren für ihn lediglich Objekte der Neugierde, lebende Hinweisschilder, die ihm den Weg zu seinem Ziel wiesen. Er hatte jetzt beide Steuerhebel fest im Griff und manövrierte die
Deep Flight IV
tiefer in den Abgrund.
    Zweitausend Meter. Dreitausend.
    Und wenn er den Rumpf nun doch beschädigt hatte?
    Viertausend Meter, und der ohnehin schon ungeheure Wasserdruck stieg linear an, je weiter er in die Tiefe vordrang. Das Wasser war jetzt noch schwärzer, gefärbt von den Schwefelwolken, die aus der Erdspalte drangen. Die Flügelscheinwerfer konnten die dichte Mineralsuspension kaum noch durchdringen. Durch aufgewirbelte Ablagerungen hindurch, die ihm die Sicht raubten, steuerte er das Boot aus dem schwefelgetönten Wasser heraus, bis er allmählich wieder mehr erkennen konnte. Er sank jetzt neben der hydrothermalen Spalte herab, außerhalb der Fontäne des vom Magma erhitzten Wassers, doch die Außentemperatur stieg weiter.
    Fünfzig Grad Celsius.
    Wieder zuckte eine blitzartige Bewegung quer über sein Gesichtsfeld. Diesmal gelang es ihm, die Steuerknüppel ruhig zu halten. Er sah weitere Aalquappen; gleich fetten, kopfüber aufgehängten Schlangen schwebten sie wie im luftlosen Raum dahin. Das Wasser, das aus dem Spalt im Meeresboden hervorbrach, war reich an erhitztem Schwefelwasserstoff, einer toxischen und lebensfeindlichen Chemikalie. Aber selbst in diesen schwarzen, giftigen Gewässern hatte Leben gedeihen können; es blühte hier in fantastischen, wunderschönen Formen. An der Wand der Schlucht hafteten fast zwei Meter lange RiftiaWürmer, deren federartiger scharlachroter Kopfschmuck in der Strömung wiegte. Er sah Ansammlungen von riesigen Muscheln mit weißen Schalen, aus denen samtig-rote Zungen hervorlugten. Und er sah Krabben von unwirklich blasser Färbung, die Geistern gleich in den Felsspalten umherhuschten.
    Obwohl die Klimaanlage in Betrieb war, spürte er allmählich die Hitze.
    Sechstausend Meter. Wassertemperatur zweiundachtzig Grad. Im Inneren der vom kochenden Magma erhitzten Wasserfontäne würde die Temperatur über zweihundertfünfzig Grad betragen. Dass sogar hier, in völliger Dunkelheit, in diesem giftigen und extrem aufgeheizten Wasser, noch Leben existieren konnte, war wie ein Wunder.
    »Ich bin jetzt auf sechstausendsechzig«, sagte er. »Ich kann es nicht sehen.«
    Durch das Rauschen und Knacken in seinem Kopfhörer drang schwach Helens Stimme. »Es gibt da einen Felsvorsprung in der Wand. Sie sollten ihn bei etwa sechstausendachtzig Metern erkennen können.«
    »Ich suche danach.«
    »Verlangsamen Sie Ihre Fahrt. Er wird gleich auftauchen.«
    »Sechstausendsiebzig, ich suche immer noch. Das ist eine regelrechte Erbsensuppe hier unten. Vielleicht ist meine Position falsch.«
    »… Sonarwerte … bricht über Ihnen zusammen!« Ihre aufgeregte Stimme ging in dem stärker werdenden Rauschen unter.
    »Das habe ich nicht verstanden. Wiederholen Sie.«
    »Die Wand des
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