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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe
Autoren: Tess Gerritsen
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sie ohnehin schon über sechzig Stunden in der Woche zusammenarbeiteten, schien er nicht besonders erpicht darauf, nach Hause zu gehen. Emma hatte geglaubt, es läge daran, dass Kittredge nach seiner kürzlich erfolgten Scheidung nun allein lebte und sich dagegen sträubte, in sein leeres Haus zurückzukehren. Doch nachdem sie ihn besser kennen gelernt hatte, war ihr klar geworden, dass diese Besprechungen ihm nur dazu dienten, das Adrenalinhoch, das der Job ihm verschaffte, noch länger aufrechtzuerhalten. Kittredge lebte, um zu fliegen. Er las furchtbar trockene Shuttle-Betriebsanleitungen als Unterhaltungslektüre und verbrachte Betriebsanleitungen als Unterhaltungslektüre und verbrachte Maschinen. Es schien fast so, als würde er es bedauern, dass die Schwerkraft seine Füße an die Erde fesselte.
    Er begriff nicht, weshalb die anderen Crewmitglieder am Ende des Tages nach Hause gehen wollten, und an diesem Abend wirkte er ein wenig betrübt, weil sie nur zu zweit an ihrem angestammten Tisch saßen. Jill Hewitt war beim Klavierabend ihres Neffen, und Andy Mercer feierte zu Hause seinen zehnten Hochzeitstag.
    Nur Emma und Kittredge waren zur vereinbarten Zeit aufgetaucht, und jetzt, wo sie die Simulationen der letzten Woche gründlich durchgekaut hatten, war eine längere Pause entstanden. Es gab nichts mehr zu fachsimpeln, und schon schien ihnen der Gesprächsstoff auszugehen.
    »Ich fliege morgen mit einer der T-38 rüber nach White Sands«, sagte er. »Möchtest du mitkommen?«
    »Geht nicht. Ich habe einen Termin bei meinem Anwalt.«
    »Ihr zieht es also durch, du und Jack?«
    Sie seufzte. »Die Dinge nehmen einfach ihren Lauf. Jack hat seinen Anwalt und ich habe meinen. Diese Scheidung ist wie ein D-Zug, der sich selbstständig gemacht hat.«
    »Das klingt, als wärst du dir nicht mehr ganz sicher.« Mit einer entschlossenen Bewegung stellte sie ihr Bierglas auf den Tisch. »Ich bin mir sicher.«
    »Warum trägst du dann immer noch seinen Ring?«
    Sie blickte auf den goldenen Ehering. Plötzlich zerrte sie heftig daran, musste aber feststellen, dass er sich keinen Millimeter bewegte. Sieben Jahre hatte sie ihn getragen, und jetzt schien der Ring mit ihrem Finger verschmolzen zu sein und sich nicht von der Stelle rühren zu wollen. Sie fluchte und versuchte erneut, ihn sich vom Finger zu reißen, diesmal so fest, dass es eine Abschürfung gab, als er über den Knöchel glitt. Sie legte ihn auf den Tisch. »Bitte sehr. Jetzt bin ich frei.«
    Kittredge lachte. »Ihr beide habt eure Scheidung schon länger hinausgezogen, als ich überhaupt verheiratet war. Worüber streitet ihr euch eigentlich noch?«
    Sie sank in ihren Stuhl zurück, war plötzlich erschöpft.
    »Über alles. Ich gebe ja zu, ich war auch nicht vernünftig. Vor ein paar Wochen haben wir versucht, uns hinzusetzen und eine Liste unserer sämtlichen Besitztümer zu machen. Was ich behalten will, was er behalten will. Wir haben einander versprochen, uns wie zivilisierte Menschen zu benehmen. Zwei besonnene und reife Erwachsene. Wir hatten die Liste kaum zur Hälfte durch, da lagen wir uns auch schon in den Haaren. Der totale Krieg – Gefangene werden nicht gemacht.« Sie seufzte. Tatsächlich waren Jack und sie schon immer so gewesen. Beide gleich hartnäckig und von leidenschaftlicher Entschlossenheit erfüllt. Ob in der Liebe oder im Streit, immer flogen zwischen ihnen die Funken. »Es gab nur eine Sache, über die wir uns einig waren«, sagte sie. »Ich darf die Katze behalten.«
    »Herzlichen Glückwunsch.«
    Sie sah ihn an. »Hat es dir je Leid getan?«
    »Meine Scheidung, meinst du? Niemals.« Obwohl seine Antwort völlig unmissverständlich war, hatte er den Blick gesenkt, als suchte er eine Wahrheit zu verbergen, die sie beide kannten: Er trauerte seiner gescheiterten Ehe immer noch nach. Selbst ein Mann, der furchtlos genug war, sich auf einer Ladung von einigen Kilotonnen hochexplosiven Treibstoffs festzuschnallen, konnte unter ganz gewöhnlicher Einsamkeit leiden.
    »Weißt du, das Problem ist Folgendes. Ich bin endlich dahinter gekommen«, sagte er. »Die Zivilisten verstehen uns nicht, weil sie nicht den gleichen Traum haben. Die Einzigen, die mit einem Astronauten verheiratet bleiben, sind die Heiligen und die Märtyrer. Oder die, denen es völlig schnuppe ist, ob wir leben oder sterben.« Er lachte höhnisch. »Bonnie war jedenfalls keine Märtyrerin. Und den Traum hat sie schon gar nicht verstanden.«
    Emma starrte ihren Ehering an,
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