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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe
Autoren: Tess Gerritsen
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drohte. Er war nicht mit der Schwerelosigkeit vertraut und stieß immer wieder wie ein Betrunkener gegen Wände und Luken, während er sich mühte, sie in das russische Servicemodul zu zerren.
    »Jack, sag doch was«, meldete sich Todd. »Was ist los?«
    »Ich habe sie in das RSM gebracht … lege sie jetzt auf den Behandlungstisch …«
    »Hast du ihr das Virus gespritzt?«
    »Ich muss sie zuerst festbinden. Sie hat Krämpfe …« Er zog ihr die Riemen über Brust und Hüfte und schnallte sie auf dem Behandlungstisch fest. Ihr Kopf schlug nach hinten aus, und ihre Augen verdrehten sich, bis nur noch die grässlich geröteten Lederhäute zu sehen waren.
Gib ihr das Virus. Sofort.
    Ein Stauband war um den Rahmen des Behandlungstisches geschlungen. Er riss es los und band es um ihren heftig um sich schlagenden Arm. Er musste seine ganze Kraft aufwenden, um ihn zu strecken, damit die Ellenbeugenvene frei lag. Mit den Zähnen zog er die Verschlusskappe der Spritze ab. Darin stach er ihr die Nadel in den Arm und drückte den Kolben nieder.
    »Es ist drin!«, sagte er. »Die ganze Spritze!«
    »Was macht sie?«
    »Sie hat immer noch Krämpfe!«
    »Im Medikamentenschrank ist Dilantin für Infusionen.«
    »Ich sehe es. Ich lege einen Zugang!« Das Stauband schwebte vorbei. Er hatte fast vergessen, dass in der Schwerelosigkeit alles, was nicht befestigt war, im Handumdrehen außer Reichweite sein konnte. Er schnappte danach und griff erneut nach Emmas Arm.
    Einen Augenblick später meldete er: »IV Dilantin läuft im Schuss!«
    »Irgendwelche Veränderungen?«
    Jack starrte seine Frau an. Wortlos flehte er sie an:
Bitte, Emma. Stirb mir jetzt nicht!
    Allmählich entspannte sich ihr Rückgrat. Ihre Halsmuskeln wurden schlaff, und ihr Kopf schlug nicht mehr gegen den Tisch. Ihre Pupillen drehten sich wieder nach vorne, sodass er die Regenbogenhäute sehen konnte – zwei dunkle, von blutroter Lederhaut umringte Seen. Kaum war sein Blick auf ihre Pupillen gefallen, als ein Stöhnen aus seiner Kehle drang.
    Ihre linke Pupille war extrem geweitet. Schwarz und regungslos.
    Er war zu spät gekommen. Sie würde sterben.
    Er fasste ihr Gesicht mit beiden Händen, als könnte er sie durch pure Willenskraft zwingen, weiterzuleben. Aber während er sie anflehte, ihn nicht zu verlassen, wusste er, dass weder seine bloße Berührung noch seine Gebete sie retten würden. Der Tod war ein organischer Prozess. Biochemische Vorgänge wie der Ionenfluss durch die Zellmembranen kamen zum Stillstand. Die Gehirnwellen verflachten. Die rhythmischen Kontraktionen des Myokardiums wurden zu einem schwachen Zittern. Sein Wünschen und Flehen würden sie nicht am Leben halten.
    Aber sie war nicht tot. Noch nicht.
    »Todd«, sagte er.
    »Ich höre.«
    »Wie sieht die terminale Phase aus? Was geschieht mit den Versuchstieren?«
    »Ich verstehe nicht ganz …«
    »Du hast gesagt, das Ranavirus wirkt, wenn es früh genug verabreicht wird. Das muss doch heißen, dass es die Chimäre abtötet. Warum funktioniert es dann nicht, wenn man es später gibt?«
    »Die Gewebeschäden sind schon zu massiv. Es kommt zu inneren Blutungen …«
    »Wo? Was zeigen die Autopsien?«
    »Bei den Hunden war in fünfundsiebzig Prozent der Fälle eine Hirnblutung die Todesursache. Die Enzyme der Chimäre beschädigen Blutgefäße an der Oberfläche der Großhirnrinde. Die Gefäße platzen, und die Blutung führt zu einem letalen Anstieg des Schädelinnendrucks. Wie bei einer schweren Kopfverletzung. Es kommt zu einer Hirnquetschung.«
    »Und wenn man die Blutung stillt und so die Hirnschädigung verhindert? Wenn man erreicht, dass die Patienten die akute Phase überstehen, könnten sie doch lange genug leben, damit das Ranavirus wirken kann, oder?«
    »Möglicherweise.«
    Jack starrte auf Emmas erweiterte Pupille. Eine schreckliche Erinnerung schoss ihm durch den Kopf: Debbie Haning, bewusstlos auf einer Krankenhaustrage. Er hatte Debbie nicht retten können. Er hatte zu lange gezögert, bevor er gehandelt hatte, und durch seine Unentschlossenheit hatte er sie verloren.
    Dich werde ich nicht verlieren.
    Er sagte: »Todd, ihre linke Pupille ist stark erweitert. Ich muss trepanieren.«
    »Was? Du müsstest blind arbeiten, ohne Röntgen …«
    »Es ist ihre einzige Chance! Ich brauche einen Bohrer. Sag mir, wo das Werkzeug aufbewahrt wird!«
    »Einen Moment!« Sekunden später war Todds Stimme wieder zu hören. »Wir wissen nicht genau, wo die Russen ihren Kram verstaut haben. Aber
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