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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Waffel mit Schlagsahne und Karamell in der Hand hielt und dass das das Beste war, was ich je in meinem Leben gegessen habe.
    Vor diesen Träumen war mir nie bewusst geworden, dass mein Vater mir fehlte.

4
    Die Haustür ging auf, und sie stand vor ihm.
    »Haben Sie das Auto in die Werkstatt gebracht?«, fragte er und zwang sich dabei zu einem Lächeln. Er war aus der Übung.
    »Ach, Sie sind es. Ja, sicher, ich habe es gleich hingebracht, und sie haben die Batterie ersetzt. Ich weiß gar nicht, ob ich mich letzten Montag bedankt habe für Ihre Hilfe. Ich bin immer so zerstreut. Habe ich mich denn bedankt?«
    »Doch, das haben Sie, natürlich.«
    »Gut, das ist ja schon mal was. Ich trete nämlich sonst bei jeder Gelegenheit ins Fettnäpfchen.«
    »Ich glaube, letztes Mal ist mir das aber passiert.«
    »Inwiefern?«
    »Es kam mir ganz spontan, Sie auf diesen Werbespot anzusprechen, in dem Sie für … also diese Werbung eben. Vielleicht mögen Sie nicht gern in diesem Zusammenhang erkannt werden, und da …«
    »Nein, nein, ich habe diese Spots gern gedreht.«
    Sie sprach schnell, aber ohne die Worte zu verschlucken. So, als lasse eine unterschwellige Nervosität nicht zu, dass sie ruhiger sprach, während zugleich langjährige Übung sie davon abhielt, die Wörter zu beschädigen.
    »Warum verwenden Sie die Vergangenheitsform? Drehen Sie keine Werbespots mehr?«
    Sie zuckte die Achseln, als sei dies ein unwichtiges Thema.
    »Ich muss los«, sagte sie nach einem Blick auf die Armbanduhr. Roberto unterdrückte den Impuls, ihr seine Begleitung bis zum Auto anzubieten, für den Fall, dass es wieder Probleme gab.
    »Dann sehen wir uns vielleicht hier wieder.«
    Sie sah ihn an, als müsse sie überlegen, wie sie diese Bemerkung einstufen sollte.
    »Vielleicht«, sagte sie schließlich, mit einem angedeuteten Lächeln und hochgezogenen Schultern.
    Dann ging sie zum Auto, und Roberto stieg die Treppe hinauf. Erst als er vor der Tür stand, fiel ihm auf, dass er immer zwei Stufen zugleich genommen hatte.
    Das hatte er schon lange nicht mehr getan.

5
    Roberto sah sich um. Louis Armstrong war noch an seinem Platz, und ihm gegenüber hing ein Gemälde: ein kleiner Fischerhafen, die Boote an den Strand gezogen, die Sonne tief stehend, ein paar menschliche Gestalten. Ein Bild, das eine friedvolle Atmosphäre vermittelte. Es ist still , sagte Roberto zu sich selbst.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja, ja, entschuldigen Sie.«
    »Sie sehen sich um.«
    »Ja, ich dachte gerade, dass ich monatelang gar nicht bemerkt habe, was sich in diesem Zimmer befindet. Früher registrierte ich immer alles, sobald ich einen Raum betrat: den Gesamteindruck und die Details. Ich machte im Geist richtiggehende Aufnahmen: Wenn ich irgendwo gewesen war, konnte ich immer beschreiben, wie es dort aussah, jede Kleinigkeit. Wenn mich hingegen in den letzten Wochen jemand gefragt hätte, wie Ihr Sprechzimmer aussieht, hätte ich ihm höchstens sagen können, dass es dort einen Schreibtisch gibt, zwei, drei Stühle, eine Couch und ein paar Bücherregale.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt bemerke ich langsam, was um mich herum passiert. Außen und auch innen. Zum Beispiel hatte ich bis zum letzten Mal dieses Poster nicht bemerkt. Es sei denn, Sie hätten es gerade erst aufgehängt. Aber es hing schon vorher dort, nicht wahr?«
    Der Doktor lächelte, während er das Bild von Louis Armstrong ansah.
    »Doch, doch, das hängt schon seit zwei Jahren dort. Gefällt es Ihnen?«
    »Ja … dieser Satz ist … ich kann nicht beurteilen, ob es für Jazz stimmt, ich verstehe nichts davon, aber ich glaube, er gilt auch für anderes … und es stimmt, es gibt Dinge, die man nie kapieren wird, wenn man sie sich erst erklären lassen muss.«
    Ein paar Sekunden war es still. Roberto nahm das wütende Ticken einer Uhr wahr; er suchte sie mit Blicken, fand aber keine.
    »Wo waren wir letztes Mal stehen geblieben?«, fragte der Doktor.
    Roberto nickte, als wäre er ermahnt worden. Er fragte sich, ob der Doktor sich wirklich nicht erinnerte, an welcher Stelle sie vorigen Donnerstag abgebrochen hatten, oder ob er nur – was wahrscheinlicher war – seinen Konzentrationsgrad kontrollieren wollte.
    »Ja. Mittlerweile fand der größte Teil meiner Arbeit nachts statt, in Diskotheken und Nachtlokalen. Abgesehen von meinen engsten Vertrauten – sehr wenige – wusste niemand, dass ich ein Carabiniere war. Für die Leute, die diese Orte frequentierten, war ich einfach eine der vielen Gestalten, die
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