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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Netzwerk von Beziehungen. Manchmal traf ich mich mit ihnen in Diskotheken und Nachtlokalen, wo wir uns in Ruhe unterhalten konnten. Und dort lernte ich wieder neue Leute kennen. Ich galt als sympathisch und als jemand, der schnell Freundschaft schloss. Nur dass das keine normalen Freundschaften waren. Meine Freunde waren Dealer, Drogenabhängige, Zuhälter und andere Herrschaften. Ich war erst seit einem Jahr bei der Drogenkommission und hatte schon mehr Informanten als die älteren Kommissare, die seit über zehn Jahren dort waren.«
    Roberto merkte, dass er sich an viele der Dinge, die er erzählte, erst in diesem Moment wieder erinnerte. Mehr noch, er verdankte diese Erinnerungen überhaupt erst dem Umstand, dass er angefangen hatte zu erzählen. Die Zeit verging wie im Flug, und zum ersten Mal sah der Doktor zu spät, dass die fünfzig Minuten der Sitzung bereits überschritten waren.
    »Gut, ich denke, dass wir für heute fertig sind. Es war sehr interessant. Nehmen Sie weiterhin brav Ihre Medikamente ein, wir sehen uns dann am Montag wieder. Ich freue mich über Ihre Fortschritte.«
    Roberto stand auf, und auf der Türschwelle, vor dem Treppenabsatz, schüttelten sie sich wie immer die Hände. Roberto war schon auf der Treppe, als er die Stimme des Doktors hinter sich vernahm.
    »Ach, Roberto …«
    »Ja?«, sagte er und drehte sich um, während er sich am Treppengeländer festhielt.
    »Die kürzeren Haare und der kürzere Bart stehen Ihnen gut. Es war eine gute Idee, zum Friseur zu gehen. Guten Abend.«
    Die Tür schloss sich, noch bevor Roberto eine Antwort darauf einfiel.

Giacomo
    Als ich am Morgen nach der Begegnung mit Ginevra in die Klasse kam, versuchte ich, sie mit einem Lächeln zu grüßen, was mir normalerweise nicht gerade leichtfällt. Nach einem kurzen Moment der Überraschung erwiderte sie meinen Gruß und auch mein Lächeln, und ich merkte, wie meine Beine schwach wurden.
    Während des Unterrichts, dem ich noch weniger folgte als sonst, fragte ich mich, ob vielleicht auch sie mich im Traum gesehen hatte. Vielleicht hatten wir denselben Traum geträumt, vielleicht gab es diesen Park ja tatsächlich, und man konnte sich dort wirklich nachts treffen und Freundschaft schließen.
    Als ich später darüber nachdachte, wurde mir klar, dass diese Vorstellung absurd war, aber an diesem Tag erschien mir in meinen Träumen im Klassenzimmer alles natürlich und plausibel.
    * * *
    Nach ein paar Nächten voller wirrer und sinnloser Träume kehrte ich in den Park zurück. Diesmal gelangte ich jedoch auf andere Weise dorthin. Ich hatte unter der Bettdecke noch zehn Minuten lang »Die unendliche Geschichte« gelesen. Nachdem ich das Licht gelöscht und einige Sekunden die Augen geschlossen hatte, sah ich, wie Scott durch die Tür kam und sich ans Fußende meines Betts setzte.
    Ich muss gestehen, dass mir diese Erscheinung ein wenig unheimlich war, auch wenn Scott nichts sagte. Er saß einfach da und sah mich an, und ich fragte mich, ob es wirklich er war oder irgendein anderer Hund, der ihm ähnlich sah. Ich war wie gelähmt: Ich wäre gern aufgestanden oder hätte irgendetwas gesagt, aber es gelang mir nicht. Ich weiß nicht, wie lange das dauerte, aber irgendwann ging Scott Richtung Fenster.
    Es geht los, Chef.
    Ich weiß nicht mehr, was danach geschah, aber ich denke, ich folgte Scott einfach durchs Fenster. Sicher ist nur, dass ich wieder in dem Park war und er neben mir lief. Offensichtlich erinnerte ich mich im Traum daran, was passiert war und wie wir aus meinem Zimmer gekommen waren, denn ich stellte ihm keine Fragen dazu.
    »Scott, erinnerst du dich noch an das Mädchen, das wir letztes Mal hier getroffen haben?«
    Klar, Chef. Ziemlich hübsch, würde ich sagen.
    Ich freute mich, dass Scott das bemerkt hatte und mir auf gewisse Weise seine Zustimmung gab.
    »Ja, sie ist die Hübscheste der ganzen Klasse. Wie kann ich sie wiedersehen? Ich meine, hier wiedersehen?«
    Mach dir keine Sorgen, Chef. Wenn wir sie einmal getroffen haben, treffen wir sie auch wieder.
    In diesem Moment nahm ich den Duft von Kuchen wahr. Es war derselbe wie vor vielen Jahren. Ich war damals vielleicht drei, höchstens vier Jahre alt. Wir waren alle zusammen, Mama, Papa und ich. Ich habe sehr wenige Erinnerungen an uns drei gemeinsam. Wir gingen die Straße entlang zu irgendeinem Ort, dessen Namen ich vergessen habe. Der Duft kam vom Stand eines Straßenhändlers. Ansonsten weiß ich nur noch, dass ich kurz darauf eine warme
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