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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung
Autoren: Gianrico Carofiglio
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sonst in Mailand, dann wirst du schon sehen, ob ich ein Bulle bin. Frag nach Mario Jaguar und hör dir an, was sie über mich sagen.«
    »Mario Jaguar? Ist das dein Deckname?« Erneut das höhnische Lächeln.
    Der Typ fing an, an Stirn und Oberlippe zu schwitzen, vielleicht vor Empörung. Manche Leute litten geradezu, wenn man sie verdächtigte, Bullen zu sein.
    »Gut, Mister Jaguar, wenn du so vertrauenswürdig bist, wird es wohl kein Problem sein, wenn ich dich bitte, mit mir auf die Toilette zu kommen, damit ich dich durchsuchen kann. Danach können wir meinetwegen übers Geschäft reden.«
    »Was laberst du da für einen Mist?« Seine Stimme klang jetzt etwas schrill.
    »Ich meine, du hast ja kein Attest dabei, auf dem steht: ›Ich bin kein Bulle.‹ Deshalb will ich vor unserem Gespräch ganz sicher sein, dass ich tatsächlich nur mit dir spreche, wenn ich mit dir spreche.«
    »Was meinst du damit?«
    »Falls du ein Bulle bist, bist du ein guter Schauspieler. Falls du keiner bist, ist es vielleicht besser, wenn du dich nicht in Dinge einmischst, die zu groß für dich sind. Hast du schon einmal was von Mikrofonen, Aufnahmegeräten und so was gehört?«
    »Du bist verrückt.«
    »Okay. Dann war’s das also. Ist ja auch besser, wenn du mit einem Verrückten keine Geschäfte machst.«
    Mit diesen Worten stand Roberto auf und tat so, als wolle er gehen.
    »He, warte doch. Du bist ja echt mies. Meinetwegen, ich gehe mit dir in diese Scheißtoilette und lasse mich durchsuchen. Dann können wir hinterher wenigstens über die Sache reden.«
    Roberto konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Der Impuls war so stark, dass er sich innen auf die Lippe beißen musste, bis das Blut kam. Auf dem Weg zur Toilette befiel ihn so etwas wie eine Vorahnung. Das, was gerade passierte, würde sein Leben für immer verändern. Es dauerte nur einen Augenblick, aber Roberto würde noch viele Jahre lang an diesen Moment zurückdenken als an den wahren, paradoxen Wendepunkt seiner Geschichte.
    Mario Jaguar hatte natürlich keine Mikrofone oder Aufnahmegeräte bei sich, nur eine pralle Brieftasche mit einer absurden Menge von Banknoten. Sie gingen zum Tisch zurück, und er bestellte eine weitere Flasche. Der DJ hatte Heal the World von Michael Jackson aufgelegt, und ein paar unwahrscheinliche Paare drehten sich eng aneinander geschmiegt auf der Tanzfläche.
    »Na, du kennst dich aber aus. Du hast mich durchsucht wie ein Profi«, meinte Jaguar.
    »Bist du denn schon einmal durchsucht worden?«
    »Nein, aber …«
    »Woher willst du dann wissen, wie es die Profis machen?«
    Jaguars Glas blieb in der Luft hängen.
    »Scheiße, du bist echt kein einfacher Mensch, stimmt’s?«
    Roberto sah ihn wortlos an. Jaguar hielt dem Blick etwa zehn Sekunden stand, leerte dann das Glas und füllte es wieder. Dann steckte er sich eine Zigarette an, sog den Rauch ein, zog mit der Nase hoch und legte die Schachtel auf den Tisch. Roberto nahm sich eine Zigarette heraus. Er hatte keine große Lust zu rauchen, aber diese Geste schien in seiner Rolle vorgesehen.
    »Sorry, dass ich dir keine angeboten habe. Du siehst nicht aus wie ein Raucher. Aber kann ich dir jetzt endlich erzählen, worum es geht?«
    »Okay, schieß los.«
    Er erzählte es ihm. Da waren ein paar Kolumbianer, mit denen er seit einiger Zeit zusammenarbeitete und die ihm jeden Monat eine Ladung Mädchen nach Mailand lieferten. Sie waren für die Stammkunden bestimmt, die gern ein wenig Abwechslung hatten und sich das etwas kosten ließen. Er brachte die Mädchen in verschiedenen Wohnungen unter, wo sie ein paar Wochen lang von morgens bis abends arbeiteten. Dann wurden sie in andere Städte in Italien oder ganz Europa weitergeschickt.
    Eines Tages hatte einer der Kolumbianer ihm vorgeschlagen, bei einem Kokaingeschäft mitzumachen.
    »Eine große Sache.«
    »Was bedeutet ›groß‹?«, fragte Roberto.
    »In Kolumbien hat die Produktion unglaublich zugenommen, und jetzt suchen sie neue Abnehmer. Sie könnten Einheiten von 50 Kilo auf einmal liefern, und das zu einem sehr guten Preis. Denn sie haben Unmengen von dem Zeug und müssen es in Umlauf bringen.«
    Roberto atmete tief durch. Von außen betrachtet konnte das so wirken, als wäge er die kommerzielle Seite der Nachricht ab. In Wirklichkeit diente dieses Durchatmen dazu, seine Emotionen in Schach zu halten. Einheiten von 50 Kilo. Wer hatte jemals solche Mengen gesehen?
    »Eine solche Gelegenheit kann dein Leben verändern. Ich habe meine
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