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In deinem Schatten

In deinem Schatten

Titel: In deinem Schatten
Autoren: Barbara Hambly
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Eindruck, dass Baby sich manchmal für Maddies Katzenkind, manchmal aber auch für Maddies Mutter hielt. Baby war Sandys Katze gewesen, und von der Beziehung der beiden zueinander hatte Maddie viel gelernt. Tiere verstanden nicht, was ein Mensch sagte – nur das, was er tat. Als Maddie schließlich begonnen hatte, sich anzusehen, was Sandy tat, und nicht mehr auf das hörte, was er sagte, hatten sich die Schleier der Verblendung vor ihren Augen zu lichten begonnen.
    Doch sie hatte nie aufgehört, ihn zu lieben.
    Auf der anderen Seite des Vorhangs hörte sie die Sprungfedern des alten Sofas leise unter Tessas Fliegengewicht quietschen. Das Mädchen schrie kurz auf und murmelte irgendetwas im Schlaf. Maddie setzte sich im Bett auf, denn ihre junge Mitbewohnerin litt gelegentlich unter Albträumen. Maddie war es unverständlich, woher Tessa nach drei Stunden Ballettunterricht, zehn Stunden Arbeit und zusätzlichem Tanztraining die Energie nahm, auch noch zu träumen. Sie lauschte eine Weile. Falls der Albtraum nicht aufhörte, würde sie aufstehen und sie wecken. Doch es folgte kein weiterer Schrei.
    Maddie fragte sich, ob Tessa von ihren Eltern träumte. Von den katastrophalen Zuständen, die sie bisher in den Gesprächen immer nur angedeutet hatte: die Wutanfälle ihres betrunkenen Vaters, das Geschrei ihrer Mutter, die versuchte, ihn zu beruhigen, der hässliche Scheidungskrieg, im Zuge dessen Tessa mehrmals im Jahr zwischen El Paso und San Francisco hin und her gependelt war … War sie im Traum gerade wieder acht Jahre alt und saß allein in einem Greyhound-Bus?
    Oder durchlebte sie im Traum gerade, was passieren würde, wenn sie nicht in ein Ballettensemble aufgenommen und nie eine Arbeit finden würde, die ihr Spaß machte?
    Oder träumte sie von der Dunkelheit im Glendower Building? Maddie schloss die Augen und sah Tessa wieder vor sich, wie sie am Fuße der dunklen Treppe in den siebenten Stock gestanden hatte und dem obszönen Flüstern eines Mannes lauschte, der gerade seine Hand nach ihr ausstreckte.

2. KAPITEL
    “Darf ich dir Gesellschaft leisten?”
    Maddie fuhr erschrocken herum. Sie hatte gerade auf das schmutzige Steinportal des Glendower Building auf der anderen Straßenseite gestarrt, und als sie nun aufschaute, stand Phil Cooper neben ihrem Tisch im “Owl Café”.
    Er existiert also auch bei Tageslicht und außerhalb des Gebäudes, schoss ihr durch den Kopf.
    Und im nächsten Augenblick: Was war das gestern? Dieses
“kleine Flittchen sind doch alle gleich … nur für Eines zu gebrauchen …”
?
    Er wirkte sehr groß, wie er da im hellen Licht dieses eisigen Tages neben ihr stand. Sie atmete tief durch.
    “Okay.”
    Ihr scharfer Ton schien ihn ein wenig zu verunsichern. Einen Moment lang dachte sie, dass er jetzt gleich “Tja, du kannst mich mal” sagen und gehen würde – wobei sie nicht hätte sagen können, ob sie darüber sauer oder ungeheuer erleichtert gewesen wäre.
    Er stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch und sagte – ohne sich zu setzen: “Hör mal, es tut mir leid, dass ich dich mit meinem blöden Gerede verärgert habe. Du weißt schon … dass ich mir von dir die Karten legen lasse, bevor ich meinen nächsten Plattenvertrag unterschreibe. Tessa hat mir erzählt, dass du dieses Tarot-Zeug ziemlich ernst nimmst …” Er zuckte leicht zusammen und fügte hinzu: “Nachdem ich wohl gerade zum zweiten Mal ins Fettnäpfchen getreten bin, sollte ich jetzt besser schleunigst das Weite suchen. Es war wirklich nicht so gemeint, wie es geklungen hat.” Er nahm seine Tasse und war schon im Begriff zu gehen, als Maddie plötzlich zu lachen begann.
    “Mit beiden Beinen im Fettnäpfchen dürfte es schwierig werden, schleunigst das Weite zu suchen.”
    “Unterschätz mich nicht.” Seine Schultern entspannten sich, und er kam zurück. “Wenn die Dame vom Yoga-Kurs im fünften Stock ihre Füße im Nacken verschränken und auf ihren Händen durch die Gegend marschieren kann, dann kann ich das mit zwei Füßen in einem Fettnapf auch.” Er musste Maddies amüsierten Blick gesehen haben, denn er stellte seine Tasse wieder auf den Tisch und setzte sich.
    Für einen Mann, der vermutlich auf dem Boden eines Proberaums nächtigte, war er erstaunlich sauber und gut – wenn auch nicht perfekt – rasiert. Selbst sein Haar war frisch gewaschen und noch ein bisschen feucht. Maddie vermutete, dass er sich heimlich in den Umkleideräumen des Dance Loft duschte.
    Mrs. Dayforth wäre außer sich,
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