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In deinem Schatten

In deinem Schatten

Titel: In deinem Schatten
Autoren: Barbara Hambly
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aufgelegt war, forderte sie ihn auf, ihr das Trinkgeld statt – wie üblich in den Gürtel – in den BH zu stecken, der mit rosa Strasssteinen in Form von Mündern verziert war. Alle amüsierten sich prächtig: Die Amerikaner im Publikum kannten den Unterschied zum echten Bauchtanz ohnehin nicht, und die Araber und Iraner waren schlichtweg hingerissen von Josis Performance. Allerdings handelte es sich bei ihrer Darbietung – wie Abdullah, der Besitzer des Restaurants, Maddie später im Vertrauen sagte – nicht wirklich um
Tanzen
.
    Doch als Maddie ihren eigenen Auftritt hatte und sie sich, verhüllt mit purpurfarbenen Schleiern, zur zeitlosen Musik von Farid Al-Atrash zu bewegen begann, verschwand all ihr Ärger – der Ärger über Josi, über Phil, über die Leute vom YWCA, die oft ihre Kurse absagten, und auch die Wut über ihre Mutter …
    In diesem Moment gab es nur das Tanzen. Die marokkanischen und ägyptischen Kellner – und Abdullah selbst – kamen aus den anderen Speisesälen des Restaurants, um zuzusehen. Begeistert klatschten sie im Rhythmus der Musik und sammelten die Dollarnoten für Maddie ein, als ihr Auftritt vorbei war.
    Später, als sie mit der Subway nach Hause fuhr, dachte Maddie, dass Josi vermutlich genau das war, was Phil vor Augen hatte, wenn er das Wort
Bauchtänzerin
hörte.
    Trotzdem ging er ihr nicht aus dem Kopf. Eingequetscht zwischen zwei Typen mit grünen Haaren, die gerade von einem Clubbing auf dem Weg nach Hause waren, und einem älteren Herrn mit jiddischer Zeitung kam ihr das Gespräch im Owl wieder in den Sinn. Sie erinnerte sich an die Form seiner Nase und an seine kräftigen, geschickten Hände, die er um die Kaffeetasse gelegt hatte. Und an den gelegentlich etwas sarkastischen Zug um seinen Mund. Nun ja, an seinem Geburtstag in einem menschenleeren Haus die Nacht auf dem Boden verbringen zu müssen würde wahrscheinlich aus jedem einen Zyniker machen.
    Hatten der von seinem Sohn enttäuschte Vater und diese offenbar nicht besonders kluge Stiefmutter wenigstens daran gedacht, ihm eine Glückwunschkarte zu schicken?
    Eigentlich war ich immer Musiker. Aber solange ich zu Hause gelebt habe, musste ich auf dem Bau arbeiten …
    Maddie zog sich vor Mitgefühl das Herz zusammen. Ihr fiel ein, wie ihre eigene Mutter sie halb mitleidig, halb amüsiert angesehen hatte, als sie nach ihrer ersten Bauchtanzstunde außer sich vor Begeisterung nach Hause gekommen war.
Also wirklich, was wird man euch in dieser Tanzschule wohl als Nächstes beibringen?
Und später, in diesem scharfen, missbilligenden Ton:
Liebes, ich kann ja verstehen, dass du zusätzlich zu deinen Ballettstunden ein bisschen experimentieren willst, aber wäre da nicht Stepptanz besser? Deine Cousine Lacy lernt auch Steppen
.
    Cousine Lacy war Cheerleader, Absolventin einer Model-Schule, seit ihren Kindergartentagen eifrige Teilnehmerin an allen möglichen Schönheitswettbewerben und eine praktizierende Essgestörte. Außerdem kam sie überall zwei Stunden zu spät, weil sie so lange brauchte, bis ihr Haar und ihr Make-up perfekt genug aussahen, damit sie sich aus ihrem Zimmer wagen konnte.
    Maddie konnte sich nicht erklären, woher ihre Begeisterung für orientalischen Tanz kam. Sie wusste nur, dass sie damals, als sie mit sechzehn ihre erste Bauchtanzstunde gehabt hatte, zum ersten Mal das Gefühl gehabt hatte, einfach ohne Anspruch auf Perfektion und nur für sich selbst tanzen zu dürfen – und nicht für ihre Mutter, irgendeinen Lehrer oder Talent-Scout.
    Nur für sich selbst.
    Sie fragte sich, ob Tessa vielleicht wusste, wie sie zu einer von Phils CDs kommen konnte. Oder gleich an alle beide.
    In dieser Nacht träumte sie von Phil.
    Sie träumte von dem warmen Wasser und den Wellen des Golfs von Mexiko, an deren Küste ihre Eltern früher immer ein Sommerhaus gemietet hatten. Träumte davon, wie sie am Strand unter den duftenden Blüten üppig wuchernden Jasmins in der absoluten Stille der Abenddämmerung lag. Phil lag neben ihr auf einer der ausgebleichten alten Decken, die es in dem gemieteten Häuschen gab – nur war da im Traum nirgendwo ein Häuschen beziehungsweise weit und breit überhaupt kein Haus. Es gab nichts als zwei verfallene römische Säulen links und rechts des Weges, der zum Strand führte, und das leuchtende Rot des Abendhimmels.
    Sie sagte: “Ich wollte, dass du diesen Ort einmal siehst. Es ist ganz still hier. Die Welt ist viel zu laut.”
    Und Phil streichelte ihre Schulter und zog sie
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