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In dein Herz geschrieben

Titel: In dein Herz geschrieben
Autoren: Pamela Duncan Andrea Brandl
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Wärme, so wie bei Tante May früher. Als Kind hatte sie bei Familienfesten immer auf dem Boden zu Tante Mays Füßen gesessen und völlig fasziniert beobachtet, wie die Fettwülste über den Rand ihrer Schuhe quollen. Sie hatte stets den Drang verspürt, mit dem Finger in das Fleisch zu piksen, um zu sehen, was dann passierte. Bestimmt war das
Gewebe weich wie der Bauch des Pillsbury-Männchens, doch sie hatte nie den Mut aufgebracht, es auszuprobieren. Stattdessen hatte sie dagesessen, die Füße und die Falten in Tante Mays Strümpfen betrachtet und den Gesprächen und dem Gelächter der Erwachsenen über ihr gelauscht. Sie hatte Tante Mays gackerndes Lachen stets geliebt und sich gefragt, ob man wohl einen dicken Bauch haben musste, um es hervorzubringen. Es hatte Cassandra ein Gefühl von Sicherheit und Glück vermittelt und in ihr den Wunsch geweckt, eines Tages wie Tante May zu sein, wenn sie einmal groß war. Und sie wollte verdammt sein, wenn ihr das nicht gelungen war, einschließlich der dicken Füße und allem anderen. Es gab eine Ausnahme - Tante May war keine alte Jungfer wie sie, die noch immer weniger als fünf Meilen von dem Haus entfernt lebte, in dem sie geboren worden war.
    Tja, dachte Cassandra, als alte Jungfer würde sie jedenfalls nicht enden, wenn sie Dennis heiratete. Das Wort wenn zischte durch den Kopf wie eine heiße Grillpfanne, die in lauwarmes Spülwasser getaucht wird. Wenn sie Dennis heiratete.
    In diesem Augenblick registrierten ihre Ohren ein Geräusch, und sie fragte sich, ob sie gleich ohnmächtig würde, was keinem in ihrer Familie je passiert war. Es sei denn, jemand hatte zu viel getrunken, und selbst das kam recht selten vor. In ihrer Familie bekam man keine Schwächeanfälle wie Südstaatenschönheiten in gewissen Liebesromanen. Sie waren allesamt kräftig und robust, besonders die Frauen. Doch, oh, wie sehr sie sich in diesem Moment wünschte, eine Südstaatenschönheit zu sein, Scarlett oder Melanie oder wer auch immer, nur damit alles dunkel um sie würde und sie ganz allein in einem breiten Bett mitten in einem kühlen abgedunkelten Raum wieder zu sich käme.
    Mit einem Mal wurde ihr schwindlig. Sie schloss die Augen und lehnte sich leicht nach hinten, so dass sie, falls sie umkippen sollte, wenigstens auf Aubrey stürzen würde. Denk an
etwas Ruhiges, dachte sie, etwas Kühles, Beruhigendes. Und dann sah sie es - etwas Blaues, glänzend tiefblau. Es dauerte einen Moment, bis ihr bewusst wurde, dass es das Meer war, das herrliche, unendliche blaue Meer an einem wolkenlosen Sommertag, mit weißen Schaumkronen, die auf den Wellen tanzten, und mit in der Brise wogendem Schilf.
    Sie hatte sich Flitterwochen am Meer gewünscht, aber Dennis hatte gemeint, das sei zu weit, also würden sie stattdessen übers Wochenende nach Asheville fahren, im Grove Park absteigen und das Biltmore House besuchen. Cassandra hatte es zwar schon unzählige Male gesehen, Dennis dagegen nicht, da sein Vater, als er noch klein gewesen war, ständig gearbeitet hatte. Und nun war Dennis derjenige, der dauernd arbeitete. Seit sein Vater geschäftlich kürzertrat, hatte Dennis keinerlei Unterstützung mehr und konnte es sich folglich nicht leisten, eine ganze Woche freizunehmen. Sie hatte sich gesagt, dass es in Wahrheit keine Rolle spiele, solange sie nur zusammen waren, doch nun wurde ihr bewusst, dass das alles Unsinn war. Sie war seit über einem Jahr nicht mehr am Meer gewesen; das letzte Mal gemeinsam mit Ruth Ann und den Mädchen, und sie wollte unbedingt hin.
    A. J. stieß sie wieder an. »Los, Schatz, komm. Entweder man scheißt, oder man sieht zu, dass man von der Schüssel runterkommt.«
    Wie romantisch. Aber er hatte recht. Es war höchste Zeit. Sie sah ihn an und nickte. A. J. zwinkerte ihr zu. Wieso mussten Männer eigentlich ständig zwinkern? Es gab ihr das Gefühl, ein kleines Kind zu sein. Offenbar hatte er Joyce zugenickt, denn in diesem Moment setzte erneut die Orgel ein. Cassandra wünschte sich, sie hätten Klaviermusik bestellt. Orgelklänge ließen sie stets an Beerdigungen oder an den Altarruf denken. Hilfe, dachte sie, wieso rettet mich denn niemand?
    Sie sah zu Dennis hinüber und zauberte ihr breitestes Lächeln
aufs Gesicht. Der arme Kerl, sein Gesicht war ganz rot. Sie spürte, wie sich ihre Füße bewegten, langsam, ganz langsam, aber nicht in diesem Schritt-Pause-Schritt-Pause-Rhythmus, den Aubrey ihr am Vorabend beigebracht hatte. Stattdessen vollführten sie eine Reihe
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