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In dein Herz geschrieben

Titel: In dein Herz geschrieben
Autoren: Pamela Duncan Andrea Brandl
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von Seitwärtsbewegungen, bis sie sich halb um die eigene Achse gedreht hatte, so dass sie weder Dennis noch die Orgel oder sonst jemanden sehen konnte. Und mit einem Mal konnte sie wieder atmen. Eine leichte Brise wehte durch die Kirchentür herein und hob ihren Schleier an. Ah, wie angenehm. Sie könnte ein wenig mehr davon vertragen, bevor sie heiratete, ein wenig mehr von dieser kühlen Brise. Sie ging auf das Kirchenportal zu, dem leichten Wind entgegen, und sah mit jedem Schritt mehr vom blauen Himmel, vom grünen Rasen, dem weißen Bürgersteig und von der schwarzen Limousine, auf deren Seitenflächen glücklicherweise nicht das Logo des Beerdigungsinstituts prangte. Zum Glück benutzte Dennis diese magnetischen Buchstaben. Schließlich wollten Schüler nicht in einer Beerdigungslimousine zum Abschlussball fahren, sagte er.
    Die Orgel spielte noch immer. Automatisch verfiel sie in einen Schritt-Pause-Schritt-Pause-Rhythmus, der zweifellos Aubreys Zustimmung gefunden hätte. Ihr Kleid raschelte, als sie den Türrahmen streifte, und dann schwebte sie die Stufen hinunter auf den Gehsteig, wobei ihre Absätze auf dem Asphalt klapperten. Als Mädchen hatte sie dieses Geräusch immer geliebt. Es hatte ihr das Gefühl gegeben, so erwachsen zu sein.
    Ein leises Summen folgte ihr, wie ein Bienenschwarm, ehe ihr aufging, dass es Stimmen waren. Sie wurden immer lauter und lauter, so laut, dass sie ihr Kleid anhob, ihre Schritte beschleunigte und praktisch in Laufschritt verfallen war, als sie die Stoßstange umfasste und um die Wagenfront herumschlitterte. Irgendwie schaffte sie es, sich mit ihrem Kleid auf den Fahrersitz zu zwängen. Sie schlug die Tür zu, tastete nach dem Zündschlüssel, bis ihr wieder einfiel, dass Dennis ihn unter
der Fußmatte aufbewahrte. Als wäre das nicht die Stelle, wo ein Dieb zuallererst suchte. Was auch sie zu einer Diebin machte, dachte sie, als sie sich nach vorn beugte und mit dem Schlüssel in der Hand wieder auftauchte.
    Nicht zurücksehen, beschwor sie sich, nicht zurücksehen. Doch ihr Kopf wandte sich wie von allein um, und da waren sie. Die Kirche hatte sich geleert. Alle waren auf den Stufen und dem Gehsteig versammelt und starrten, einer Kuhherde gleich, auf sie. Aus irgendeinem Grund wirkten sie nicht real, sondern eher wie die Aufnahme einer Menschenmenge in einem Fotoalbum. Hochzeitsfotos von jemand anderem. Cassandra erwartete fast, auch ihr eigenes Gesicht zu sehen, das ihr entgegenblickte, als Gast auf einer anderen Hochzeit, die wieder einmal nicht die ihre war.
    Ruth Ann stand ganz vorne. Sie hatte die Arme vor der Brust gekreuzt, während sich der blaue Chiffonrock ihres Trauzeugenkleides um ihre mageren Beine bauschte. Cassandra konnte nicht ausmachen, was sie sagte, doch der Ausdruck auf ihrem Gesicht war unmissverständlich. »Ich glaube das einfach nicht!« A. J. zupfte an seiner Krawatte und grinste wie ein Affe, als hätte Cassandra etwas Amüsantes angestellt. Die restlichen Familienmitglieder blickten verwirrt und betroffen umher, ebenso Dennis’ Angehörige. Alle bis auf seine Mutter. Könnten Blicke töten, läge Cassandra jetzt auf dem Boden. Sein Vater hatte die Brille abgenommen und polierte sie kopfschüttelnd mit einem Taschentuch. Als sie sah, wie Dennis sich durch die Menge schob, ergriff sie Panik. Sie startete den Motor, in der Annahme, dass er ihr nachlaufen würde, doch Dennis blieb stehen. Er blieb einfach stehen. Er sah aus wie jemand im Film, der eine Kugel zwischen die Augen bekommen hatte, dessen Körper nur noch nicht registriert hatte, dass er jetzt tot umfallen musste.
    Er zog seine schwarzen Brauen zusammen, und sein Mund begann sich zu bewegen. Seine Lippen formten ihren Namen.
Eine Woge der Schuld spülte über sie hinweg und drohte, sie mit sich zu reißen, doch als Dennis einen Schritt auf den Wagen zu machte, legte sie den Automatikhebel nach vorn und gab Gas. Sie drückte den Türschlossknopf und fuhr los. Fahr, sagte sie sich. Fahr einfach. Nicht nachdenken. Nur fahren. Sie blickte in den Rückspiegel, um zu sehen, ob ihr jemand folgte, konnte jedoch nichts erkennen, weil jemand etwas mit Rasierschaum aufs Rückfenster geschrieben hatte. Es dauerte einen Moment, bis sie die Worte entziffern konnte. Glücklich bis ans Ende ihrer Tage.
    Sie alle mussten verrückt werden, mussten glauben, sie sei durchgedreht. Sie musste zurückfahren und alles wieder in Ordnung bringen. Doch ihr Fuß weigerte sich, vom Gaspedal zu gehen.
    Dennis
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