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In besten Kreisen

In besten Kreisen

Titel: In besten Kreisen
Autoren: Amanda Cross
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so willst – jeden. Ich habe ihren Vater gekannt und gemocht, der bei vielen Gelegenheiten mehr als genug getan hat, um mir einen Gefallen zu tun. Ich glaube, sie hatte begriffen, daß ich die Chance, einmal, wenn auch nur postum, etwas für ihn tun zu können, sehr begrüßen würde. Ich glaube, es gibt nicht viele Leute, denen klar ist, daß es schon wieder ein Freundschaftsdienst ist, wenn man jemandem die Möglichkeit gibt, sich nützlich zu machen. Kannst du mir folgen?« »Vollkommen, wie du weißt.« »Zudem gab es wirklich nicht so viele Leute, an die sie sich wenden konnte. Natürlich nahm sie an, ich brauchte bloß ein paar Tage, um alles durchzusehen – Familien, die im Besitz solcher Sammlungen sind, haben selten eine Vorstellung davon, wieviel Arbeit es bedeutet, das alles zu sortieren. Du kennst die Geschichte von den Boswell-Papieren, die in einem alten Schloß in einer Kiste unter Krocket-Utensilien gefunden wurden?« Reed schüttelte den Kopf.
    »Erinnere mich daran, daß ich sie dir erzähle, aber erst bei unserem übernächsten Gespräch. Es stellte sich heraus, daß die Sammlung geordnet werden mußte und daß ich das allein nicht schaffen würde. Ich freundete mich Schritt für Schritt mit dem Gedanken an, den Sommer hier zu verbringen, statt nach Europa zu tänzeln.« »Langsam fange ich an zu verstehen.« »Nur eine flüchtige Vorstellung, nicht mehr als ein Nebelstreif.
    Aber bald kam noch einer hinzu, nämlich Leo.« »Ich warte schon mit gespitzten Ohren darauf, was du mir über Leo zu sagen hast. Offen gesagt, ich habe die Geheimnisse deiner Familienbande noch nie ausgelotet.« »Familienbande sind immer schwer zu erklären und unmöglich zu lösen. Nicht, daß man das ernsthaft wollte. Wie sehr einem die Familie auch auf den Nerv gehen kann, es gibt da so etwas wie die Stimme des Blutes, die einen nötigt, zu antworten. Mit keinem Mitglied meiner Familie habe ich irgend etwas gemeinsam, aber wenn es eine Krise gibt, egal ob persönlicher oder nationaler Natur, dann hält man zusammen.« »Was ist eine nationale Krise?« »Weihnachten.« »Ach ja. Verstanden.« »Diese Krise war jedoch persönlicher Art. Leo ist das mittlere von drei Kindern, und offensichtlich sind alle mittleren Kinder auf dieser Welt gefährdete Existenzen, werden sozusagen von oben und unten gleichzeitig bedroht und entwickeln eine Unsicherheit, die sich oft in Widerspenstigkeit, Gewalttätigkeit und purer Faulheit ausdrückt. Ich behaupte nicht, daß ich verstünde, warum man als das ältere oder das jüngere Kind so wunderbar seiner selbst sicher sein soll und nicht genauso sagen kann: ›Ich bin das mittlere Kind‹, und fertig. Aber Kinderpsychologie war mir schon immer zu hoch. Wie dem auch sei, Leo war schwach in der Schule, schwierig zu Haus und indifferent in der Gruppe.« »In der Gruppe?« »Reed, ich habe wirklich den Eindruck, du stellst dich dumm. Du weißt doch sicher, was eine Gruppe ist – bist du denn zu keiner gegangen, samstags, als kleiner Junge in New York?« »Ich war kein kleiner Junge in New York. Ich war ein kleiner Junge in Baltimore, Maryland.« »Aha, offensichtlich eine zurückgebliebene Gemeinde. Gruppen sind dazu da, den Nachwuchs während der Freizeit zu beschäftigen, weil sonst die Eltern durchdrehen. Für eine beachtliche Summe nimmt die Gruppe dein Kind mit in den Park, zum Eislaufen, zum Klettern. Leo machte sich nichts aus solchen Gruppen. Ich persönlich halte das für ein Zeichen klaren Verstandes, aber Leos Eltern und der Erziehungsberater, den sie konsultierten, sahen das anders.« Kate wandte ihm das Gesicht zu. »Natürlich hätte das alles mit mir nichts zu tun gehabt, wenn das Schicksal, von dem die Griechen so viel verstanden und wir so wenig, seine Hand nicht im Spiel gehabt hätte. Leos Eltern beschlossen, zu ihrem Hochzeitstag eine Dinnerparty für die Familie zu geben, und in einem unglücklichen Anfall von familiärer Sentimentalität sagte ich mein Kommen zu.
    Meine drei Brüder versuchen ständig, mich in ihre diversen gesellschaftlichen Kreise hereinzuziehen, obwohl sie es, Gottseidank, inzwischen aufgegeben haben, mich gesellschaftlich akzeptablen Junggesellen vorzustellen. Ich werde langsam älter, die Junggesellen werden immer unverbesserlicher, und im übrigen kann man nie darauf vertrauen, daß ich mich gut benehme. Leos Vater ist mein jüngster Bruder. Reed! Was bist du für ein Engel, daß du dir das alles anhörst. Ich glaube, mir hat das mitleidige Ohr,
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