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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht
Autoren: Amy McNamara
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neben dem Bett ab. »Und das zweite?«
    »Ach, ja, sorry, die zweite Sache ist, dass dein Vater mit dir im Atelier zu Mittag essen will. Sei da. Und komm mit ins Gallagher’s . Das wird dir gefallen, das versprech ich dir.«
    Ich drehe mich auf die Seite. Mittag im Atelier. Na toll. Er hat mit Mom geredet, eindeutig. Das ist neu. Und eine Einladung ins Atelier, bei Tag. Ich seufze tief.
    »Danke für die Einladung«, sage ich, ohne mich auf irgendwas festzulegen. »Wann soll ich kommen? Zu meinem Dad?«
    »Gegen eins.« Sie bückt sich, um mich zu beäugen. »Und du sollst fürs Essen sorgen.«
    Ich stöhne.
    Mary lacht und geht aus dem Zimmer.
    »Ich bin dabei«, rufe ich ihr hinterher. Sei da. Ist wohl eher eine Prüfung. Das darf ich nicht versauen.
    Meine Laufklamotten stinken, schlimmer noch als die Laken. Ich nehm mir immer vor, sie zu waschen, und tu es dann doch nicht. Nichts ist sauber. Mein Zimmer ist eine Katastrophe. Ich hab mich nie richtig eingerichtet. Ich schlafe auf dem Bett, das Dad gekauft hat, als ich noch klein war. Er wollte mir ein neues kaufen, dem Zimmer ein Update verpassen, aber mir ist das eigentlich egal. Der Schrank ist so voll mit seinem Kram, dass ich meine Koffer einfach davor stehen lassen hab. Auf dem kleinen Regal am Bett sind eine Leselampe und das Ladegerät für mein Handy. Meine übrigen Sachen, mein iPhone, Laptop und die Kamera liegen auf dem Fußboden.
    Meine Kamera.
    Meine alten Augen. Ich schaue sie eine Sekunde lang an, versuche, mich zu erinnern, wie sie sich angefühlt hat, wie schwer sie in der Hand lag, warum sie so wichtig für mich gewesen war.
    Meine Kleider riechen übel. Also nicht laufen. Noch halte ich einen gewissen Standard ein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass saubere Sachen so was wie ein Indikator für ein Minimum an psychischer Gesundheit sind. Mit dem roten Tuch vernachlässigter Hygiene will ich nicht wedeln. Ich raffe alles zusammen und trage es in den kleinen dunklen Hauswirtschaftsraum, in dem mein Dad Waschmaschine und Trockner stehen hat, schmeiß alles rein und wähle das Kurzwaschprogramm.
    Essen vorbereiten. Ich hab gesagt, ich mach das. Der Kühlschrank ist leer. Ein paar Flaschen Wein, ranzige Sahne, ein Zipfel eingetrocknete Wurst, eine gelbliche Käserinde. Ich werde einkaufen müssen. Etwas, das ich, soweit es ging, vermieden habe, die Fahrt in die Stadt. Mein Herz gerät ins Stolpern. Blödes Lunch im Atelier. Die Schlüssel von Dads Truck hängen am Haken neben der Tür. Ich zieh die Schublade neben der Spüle auf. Da hat er einen Umschlag mit Geld deponiert, falls ich was brauche. Was ich nicht getan hab, bis eben. Rumsitzen kostet ja nichts. Ich hol es raus.
    Dann setz ich mich hin und schreibe eine Einkaufsliste, bis ich meine Sachen in den Trockner stecken kann. Danach geh ich wieder in mein Zimmer, lass mich aufs Bett fallen und warte.
    Die meisten meiner Freunde sind weggeblieben. Ein paar haben mich nach dem Unfall besucht, aber vor diesem Nicht-Reden-Ding hatten die Leute irgendwie Schiss, glaub ich. Sozialer Tod. Wenn man beschließt, mit dem Reden aufzuhören, bleiben die Leute noch eine Weile bei einem, versuchen herauszufinden, wo’s denn hakt. Die Beerdigung hab ich verpasst, Gott sei Dank. Meredith hat mir alles haarklein berichtet, als ob mich das zurückkatapultieren würde. Als die Beerdigung vorbei war, ist sie in mein Zimmer gestakst und hat meinem stummen Gesicht die ganze Sache erzählt, mich mit Worten ins Geschehen gezerrt. Emmas zitternde Stimme oben auf dem Podium, als sie einen Brief an ihren großen Bruder verlesen hat. Patricks Mutter, die am offenen Grab auf dem vom Regen durchweichten Boden auf die Knie gesunken ist.
    Emma. Weiß wie Schnee, schwarz wie Ebenholz … wie ihr Bruder. Ein Kleine-Schwester-Ersatz. Sie und Patrick waren ein Doppelpack, ganz anders als Meredith und ihr kleiner Bruder Jay. Mer und ich haben Emma gewissermaßen adoptiert, besonders in Bly. Als sie völlig fertig war, weil sie ihre Zahnspange noch ein Jahr länger tragen musste, haben wir sie nach der Schule zu einem Image-Upgrade mit nach Hause genommen. War Merediths Idee. Sie macht solche Dinge, kämpft für die gute Sache. Sie hat Emma durchgestylt, von Kopf bis Fuß. Als sie fertig waren, habe ich Fotos gemacht. Ganz süße, die sie posten konnte, wenn sie sich mies fühlte, weil sie den Mund voller Draht hatte. Ich seh sie immer noch vor mir, die strahlenden Augen unter den dunklen Brauen, wie blaue Blumen, die zur Sonne
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