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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht
Autoren: Amy McNamara
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Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist eine Flut von Merediths Briefen, die mir ein noch mieseres Gefühl machen würden. »Nein«, bettele ich. »Gib ihr die Adresse bitte nicht. Sag, es tut dir leid … es tut mir leid. Bitte, Mom, bitte.«
    Großer Seufzer.
    »Mamie«, sagt sie nach einer ganzen Weile. »Ich bin besorgt. Es ist nicht gerade das Beste für dich, für deine Zukunft, im leeren Haus deines Vaters am Ende der Welt Trübsal zu blasen. Du wirst deinen Schwung verlieren.«
    Schwung. Das muss ein Witz sein.
    Ich kann hören, wie sie mit den Fingern auf ihren Schreibtisch trommelt. Wenn sie aufgewühlt ist, macht sie diese kleinen Geräusche.
    »Mom. Ich leg jetzt auf«, sage ich. Und ich tu es.
    Es wird immer leichter. Sie mag ja mehrmals am Tag anrufen, aber ich kann das Gespräch beenden.
    Ich wälze mich auf die kühlere Seite des Bettes und schau nach draußen. Die Bäume sind weich vom Schnee. Und ich seh gern, wie er fällt und fällt, in das graue Meer … zurück dahin, wo er hergekommen ist. Ins Vergessen.
    Ein Klopfen an der Tür lässt mich hochschrecken.
    »Wren?« Marys Stimme. Die Assistentin von meinem Vater.
    »Komm rein.« Ich setze mich auf. Zieh ein Sweatshirt über, das ich mir in der Nacht vom Leib gerissen hab.
    Mary. Sie wäre ein Fest für meine Mutter. Sie würde sie mit diesem verkniffenen Lächeln mustern, das sie für Leute erübrigt, die sie albern findet oder einfach nicht verstehen kann.
    Ich hab ein paar Wochen gebraucht, bis ich überhaupt mitkriegte, dass Mary da war, im Atelier arbeitete, im Haus ein- und ausging. Als ich hier ankam, hab ich nicht oft aufgeschaut. Ich kann mir die ganzen Leute von meinem Vater nicht merken.
    Mary trägt ihr übliches buntes Irgendwas. Heute ist es ein kirschroter Schal, den sie sich auf Zigeunerart um den Kopf gewickelt hat. Ihr weißblondes Haar lugt zu einer irren Schraube gedreht oben aus dem Stoff. Riesige handgeklöppelte weiße Ohrringe fallen bis auf ihre Schultern, als würde sie über Schnee gebieten. Overall und Stiefel sind mit Farbe bekleckert. Sie sieht aus wie ein Eisbecher in Arbeitszeug.
    »Du bist ja früh da«, sage ich und nehme den Becher heißen Kaffee entgegen, den sie mir hinhält. Sie weiß sogar, wie viel Milch ich möchte.
    Sie guckt auf die Uhr und lacht. »Es ist gleich elf.«
    Sie setzt sich neben mich aufs Bett, eine qualvolle kleine Intimität. »Warst du lange auf?«
    So was macht Mary. Sie kommt in mein Zimmer, stellt kleine Fragen. Ich sage nichts. Es ist elf und ich bin immer noch in den Federn.
    »Findest du nicht, dass du zu viel schläfst?«, fragt sie. Ihre Augen flitzen wie Vögel zwischen meinem Gesicht und der Uhr hin und her. Das ist zu persönlich und nervig, und ich weiß, dass mein Dad sie gebeten hat, das zu machen. Nach mir zu sehen. Der große Deligierer. Sogar hier oben hab ich keine Ruhe.
    »Was willst du, Mary?« Ich vermeide es, ihr in die Augen zu schauen, und guck mich nach meinen Laufklamotten um.
    Sie lehnt sich zurück.
    »Zwei Dinge … ich bin hier verrückt geworden am Anfang, weißt du … ich bin gern mit Leuten zusammen, deshalb hab ich diesen Geheimen Filmklub gegründet, im Hinterzimmer von Gallagher’s Bar. Jeden Dienstag. Für Alt und Jung. Da kommt immer eine recht ordentliche Schar zusammen. Willst du mit?«
    Ich antworte nicht und einen Moment lang wirkt sie ein ganz klein bisschen nervös oder so was. Eine Hand flattert Richtung Ohr. Nestelt an einer Schneeflocke herum. Sie nimmt sie ab und untersucht sie; mit kurzen, neonorangefarbenen Fingernägeln pult sie an einem losen Faden, steckt ihn schließlich in den Mund und reißt das überflüssige Stück mit den Zähnen ab.
    »Sorry«, sagt sie. »Ich hab gerade gelernt, die zu machen, und dieser Faden hat mich irre gemacht. Kitzelt am Hals. Egal«, sie zieht das Wort grinsend in die Länge. »Der Geheime Filmclub. Diesen Monat ist das Thema ein bisschen düster … Tod vor dreißig.«
    Plötzlich lacht sie los, ganz hoch, so als ob ihr mit einem Mal aufgegangen wäre, wie unpassend diese Einladung sein könnte. Dafür liebe ich sie ein bisschen.
    Trotzdem lässt sie sich nicht beirren. »Das war nicht meine Idee« … noch ein helles Lachen … »Na, egal, letzte Woche hatten wir My Private Idaho – Ende der Unschuld , River Phoenix, selbstverständlich, und diese Woche ist es 10 Things I Hate About You mit Heath Ledger. Hast du den gesehen?«
    Ich schüttele den Kopf und stelle den Kaffeebecher auf dem Fußboden
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