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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht
Autoren: Amy McNamara
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seine Schulter.
    Er rührt sich ein wenig, macht die Augen auf und braucht einen Moment, bis er mich wahrnimmt. Er scheint aus großer Tiefe aufzutauchen.
    Seine Hand geht zum Gesicht, streicht das Haar zurück, er versucht, sich etwas aufzurichten.
    Mir wird bange. Ich beuge mich tief über ihn, hab die Lippen an seinem Ohr: »Wie lange bist du schon auf dieser Couch?«
    Sein Telefon liegt in Reichweite, neben ihm auf dem Fußboden. Er guckt mich an, als wüsste er nicht, wie ich hierhergekommen bin.
    »Warum hast du mich nicht angerufen? Ich wäre rübergekommen«, sage ich.
    Jetzt ist er wach. Wütend. Setzt sich etwas aufrechter hin. Ich stecke ihm ein Kissen in den Rücken.
    »Was machst du hier?«, fragt er kalt.
    Ich brauche einen Moment, bis ich die Frage, seinen Ton verstehe.
    »Was ich hier mache?«
    »Du bist einfach hier reingekommen?«
    »Warum hast du mich nicht angerufen?«, frage ich wieder. Mittlerweile bin ich völlig verwirrt.
    »Die Batterie war leer.«
    Er guckt mich nicht an.
    »Die Batterie war leer …?«
    Langsam dämmert es mir.
    »Oh, mein Gott, Cal.« Ich fange an zu weinen. »Du hast es nicht geschafft, dein Telefon auf der anderen Seite des Raumes aufzuladen? Komm, ich bring dich zu Dr. Williams.«
    Er schüttelt verärgert den Kopf.
    »Er kommt hierher, ins Haus. Mein Dad hat das vereinbart. Wenn du anrufst, kommt er.«
    Er verzieht wieder das Gesicht, als ob ihm zuwider wäre, was er sagt. Dann guckt er mich an, total wütend, als ob es meine Schuld wäre, als ob ich was Unverzeihliches getan hätte.
    Ich bin erschüttert, kann mich nicht von der Stelle bewegen.
    Hinter uns, vor dem Fenster, wird der Himmel grau. Das schwindende Licht lässt alles trüb erscheinen.
    »Also«, sagt er gepresst. »Dann hilf mir … zu meinem Zimmer zu kommen?«
    Er sieht furchtbar aus – so als würde er vor meinen Augen auch noch das letzte bisschen Farbe verlieren.
    »Oh, mein Gott«, wiederhole ich. »Natürlich … Warum? Warum hast du mir gestern Abend nichts gesagt? Warum bin ich gestern bloß nicht zu dir rübergekommen? Ich hatte den ganzen Tag das Gefühl, dass was nicht stimmt.« Mit dem Ärmel wische ich mir Tränen von der Backe. Meine Nase läuft jetzt auch.
    »Halt den Mund«, sagt er scharf. »Und hör auf zu weinen. Mir geht es gut. Alles ist gut. Du machst es nur schlimmer. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich hab’s versaut. Ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen. Hilf mir einfach hoch, okay?«
    Er packt die Lehne der Couch und zieht sich hoch. Ich reiche ihm die Krücken. Aber er guckt mich nur an.
    Ich brauche eine Weile, bis ich es kapiere.
    Die genügen ihm nicht. Er schafft es nicht allein. Eine n Moment lang denke ich, dass ich die Nerven verliere.
    Tief atmen.
    Stattdessen schlinge ich ihm den Arm um die Taille. Er legt mir seinen Arm um die Schultern, stützt sich auf mich und wir stehen auf. Doch er setzt sich schnell wieder hin, versucht es noch mal. Er braucht einen Moment, bis er sein Gleichgewicht gefunden hat.
    Meredith räuspert sich.
    Cal und ich schauen beide überrascht auf.
    »Oh«, sage ich. »Ich hab ganz vergessen, dass du da bist.«
    »Ist alles in Ordnung?«, fragt sie geschockt. »Soll ich vielleicht die 911 anrufen?« Das Telefon glänzt in ihrer Hand.
    Ich schüttele den Kopf, erstarre kurz. Cal lehnt schwer auf mir. Dann stelle ich die beiden einander vor, als ob nichts los wäre.
    »Cal, das ist Meredith. Sie ist zu Besuch da. Ich wollte, dass ihr euch kennenlernt.«
    »Gutes Timing«, sagt Cal. »Meine Sternstunde.« Er ist ziemlich angepisst.
    Meredith hat ein gezwungenes Lächeln auf den schmalen Lippen.
    »Hilf mir«, zische ich sie an. Er stützt sich wirklich schwer auf mich. Ohne sie schaffe ich das nicht.
    Sie lässt ihre Tasche fallen und kommt rüber, ihr Gesicht ist zu höflichem Entsetzen erstarrt.
    Ich schlinge ihren Arm um seine Taille.
    »Los geht’s«, sage ich.
    Von uns flankiert schafft er es bis zu seinem Zimmer. Er riecht krank. An der Tür sagt er leise: »Ab hier geht es allein. Ruf Dr. Williams an.«
    »Okay. Wann hast du das letzte Mal was gegessen?«
    Er macht mir die Tür vor der Nase zu.
    Ich kann mein Handy kaum bedienen, solche Angst hab ich, immer drücke ich die falsche Taste. Vielleicht war es genau so, als es mit seiner Mom bergab ging. Vielleicht ist Cals MS doch wie ihre, vielleicht endet er auch in einem Pflegeheim.
    Endlich finden meine Finger die Nummer von Dr. Williams und ich komme durch. Sie machen sich
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