Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht
Autoren: Amy McNamara
Vom Netzwerk:
gleiten, nur die neuesten. Weiter zurück kann ich nicht gehen. Mein Herz hämmert so heftig, dass ich vibriere, die Seiten flattern ein wenig, wie Mottenflügel. Ich bin von Neuem orientierungslos. Wieder dort. Aber auch hier.
    Ich lasse den Brief in meinen Schoß fallen. Meredith redet ewig mit Matt, springt einmal auf und füllt unsere beiden Gläser nach, während ich blicklos ihre restlichen Worte an mich anblinzele. Ihre Unterhaltung am Telefon ist voller Namen, die ich nicht kenne, und neuer Insider-Witze. Der Witz ist, dass ich Outsider bin. Wenn man nicht auf Bedeutung achtet, nimmt die gesprochene Sprache einen Rhythmus an, der ganz ähnlich ist wie Brandung am Strand. Ich guck aus dem Fenster. Hinter meinem Spiegelbild sehe ich, wie Schnee aufs Wasser fällt. Vom Nirgendwo ins Nirgendwo.
    »Mehr liest du nicht?«, fragt sie, als sie das Gespräch beendet und zu meinem Platz rüberkommt.
    »Ich kann das nicht«, sage ich zu ihr, obwohl ich gerade furchtbare Angst hab, das auszusprechen. Ihre Wut auf mich ist greifbar. Ich schaue auf. »Ich kann sie nicht lesen, kann nicht wieder zurück dahin.«
    Eine Weile schweigt sie, zieht die Augenbrauen zusammen, weicht nicht von der Stelle. Hässlich steht der sich zusammenbrauende Streit zwischen uns. Wenn sie doch einfach sagen würde, was ich in ihr kreischen höre.
    Aber sie hält es zurück, stößt kurz und scharf die Luft aus. Wortlose Frustration. Sonst nichts. Eine Hand geht hoch, glättet das Haar.
    Wir brauchen was zu tun. Ich geh in die Küche und hole Scheren. Zwei.
    »Was machst du da?«, fragt sie vorsichtig, als ich wieder auf meinem Stuhl sitze und anfange zu schneiden.
    »Das sind meine, oder? Für mich? Es ist also meine Entscheidung, was ich damit mache?«
    Sie nickt langsam, beobachtet mich, wie ich entfalte, glätte und erneut ihre Worte falte.
    »Schneeflocken«, sage ich, fühle mich ein bisschen betrunken und erleichtert, als ob der Abend jetzt irgendwo hinführen würde, als ob ich tatsächlich was Schönes aus dieser Karambolage machen könnte, in der wir stecken.
    »Schneeflocken.« Sie spricht langsam und guckt mich an, als ob ich nicht bei Trost wäre.
    »Quadrate, dann Dreiecke«, weise ich sie an und zeige auf die zweite Schere, die neben meinem Fuß auf dem Boden liegt.
    Sie rührt sich nicht. Ich guck auf das halb leere Glas in ihrer Hand, die leere Flasche drüben neben der Couch. Das hier kann kein gutes Ende nehmen.
    Ich öffne die Briefe und plätte sie mit der Handfläche. Das Falten hat eine Ordnung, einen ruhigen Plan, schlicht, leicht zu befolgen. Die Originalität kommt später ins Spiel, wenn man seine Schnitte macht. Ich streiche ihre scharfen Worte glatt, dämpfe sie dann in Falten. Ganz kurz fällt mein Blick auf Patrick und eine Sekunde lang ist die Schere schwer wie Blei, doch ich hebe sie trotzdem, zwinge ihre rostigen Kiefer auseinander, schneide die er drückenden Worte weg. Jedes Schnipp richtet mein Rüc kgrat ein Stück weiter auf, bis ich stark wie ein Baum auf recht dasitze. Ich befinde mich im Auge eines Papiersturm s, in einem Blizzard nicht wiederzufindender gemeinsamer Zeit.
    »Ich hab keine Ahnung, wer du bist, Mamie«, sagt sie schließlich wütend, wobei sie sich eine Träne von der Wange wischt. Erst als ich höre, wie die Tür aufgeht, schaue ich auf.
    »Wo gehst du hin?«, frage ich und denke einen verrückten Augenblick lang, dass sie jetzt selber zum Laufen aufbricht.
    »Ins Atelier. Dieser Nick-Typ hat gesagt, er würde einen Film vorführen.«
    Die Tür knallt laut zu.

Zusammenzucken
    Der Morgen kommt schnell, grell und heftig. Der Champagner ist eine Pauke in meinem Kopf, eine Totenwache im Magen. Ich mache ein Auge auf.
    In der Ecke schwebt Dads Drahtvogel an einem Band, dreht sich ein bisschen in der heißen, trockenen Luft, als die Heizung anspringt. Er ist unschuldig, wie er da hängt. Und hat Glück, aus Draht zu sein. Keine Komplikationen wie etwa dieser schreckliche Scheißrhythmus, der in meinen Schläfen pocht.
    Ich mach das andere Auge auf. Meredith liegt auf mir. So war das schon immer. Bei jeder gemeinsamen Übernachtung wache ich davon auf, dass mir kochend heiß ist und ihre Beine mich auf der Matratze festklammern.
    Sie ist nicht abgefahren. Das ist gut.
    Ich stupse sie ein bisschen, versuche, das Unbehagen zu ignorieren, das mich schleichend befällt.
    »Du machst dich breit«, sage ich und stütze mich auf den Ellenbogen.
    Sie rührt sich nicht. Sie schläft so fest, dass ihr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher