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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Robert Harris
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ungewöhnlich dürftig ausnahm - außer einem Bericht über die militärische Lage war nichts vorgesehen -, setzte er Ciceros Antrag auf die Tagesordnung. »Aber du solltest deinen Herrn vorwarnen«, sagte er. »Dem Konsul ist Ciceros kleine Bosheit über den Philosophenstreit zu Ohren gekommen. Er war nicht sehr begeistert.«
    Als ich wieder im Gericht eintraf, war Ciceros Verteidigungsrede schon in vollem Gang. Die Rede gehörte nicht zu denen, die er von mir archivieren ließ, deshalb habe ich unglücklicherweise den Text nicht zur Hand. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass er den Prozess mit einem schlauen Schachzug gewann: Er versprach, dass Popillius im Fall eines Freispruchs den Rest seines Lebens dem Militärdienst widmen würde - ein Gelübde, das sowohl den Ankläger wie auch die Geschworenen und erst recht seinen Mandanten völlig überraschte. Aber der Kunstgriff funktionierte. Im Augenblick der Urteilsverkündung verschwendete Cicero keine einzige Sekunde mehr an Popillius, gönnte sich nicht einmal einen Bissen zu essen, sondern verabschiedete sich umgehend Richtung Senat, der sich im westlichen Teil des Forums befand - im Schlepptau die gleiche Ehrengarde aus Bewunderern wie am Morgen. Ihre Zahl hatte sich sogar vergrößert, da das Gerücht umging, der große Advokat wolle heute noch eine zweite Rede halten.
    Cicero behauptete immer, dass die eigentlichen Geschäfte der Republik nicht im Senatssaal, sondern davor, auf dem Senaculum genannten Sammelplatz der Senatoren, betrieben würden, wo diese zu warten hatten, bis die Kammer beschlussfähig war. Diese tägliche Versammlung weiß gekleideter Gestalten, die eine Stunde oder länger dauern konnte, bot eines der faszinierenden Bilder der Stadt. Während Cicero sich unter die Senatoren mischte, gesellte ich mich zusammen mit Sthenius zu der gaffenden Menge auf der anderen Seite des Forums. (Der Sizilier, der Arme, hatte immer noch keine Ahnung, was hier vor sich ging.)
    Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht alle Politiker es zu Rang und Namen bringen. Von den sechshundert Männern, die damals den Senat bildeten, konnten in jedem Jahr nur acht zum Prätor gewählt werden, und nur zwei konnten das höchste Imperium, das Konsulat, erreichen. Mit anderen Worten: Über die Hälfte derjenigen, die jetzt im Senaculum herumstanden, waren dazu verurteilt, nie in ein öffentliches Amt gewählt zu werden. Sie waren das, was die Aristokraten naserümpfend pedarii nannten: Männer, die mit den Füßen abstimmten, die bei jeder Stimmabgabe pflichtbewusst entweder zur einen oder anderen Seite des Raumes gingen. Und doch waren diese Bürger in gewisser Weise das Rückgrat der Republik: Bankiers, Geschäftsleute und Landbesitzer aus ganz Italien; wohlhabend, besonnen und patriotisch; misstrauisch gegenüber der Arroganz und dem Pomp der Aristokraten. Wie Cicero waren sie oft homines novi, neue Männer, die ersten in ihren Familien, die in den Senat gewählt worden waren. Das waren Ciceros Leute. Zu beobachten, wie er sich an jenem Nachmittag zwischen ihnen hindurchschlängelte, war, als beobachte man einen großen Künstler, einen Bildhauer an seinem Steinblock - dem einen legte er sanft die Hand auf den Ellbogen, dem anderen klopfte er kräftig auf die breiten Schultern; bei diesem Mann ein derber Scherz, bei jenem ein feierliches Wort der Anteilnahme, wobei er zur Bekräftigung seines Mitgefühls die verschränkten Hände gegen die eigene Brust drückte. Auch wenn ihn ein lästiger Schwätzer festnagelte, erweckte er den Eindruck, sich alle Zeit der Welt für dessen langweilige Geschichte zu nehmen. Plötzlich jedoch streckte er den Arm aus und hielt irgendeinen vorbeischlendernden Senator auf, entledigte sich der Klette anmutig wie ein Tänzer und ließ ihn mit dem sanftmütigsten Blick der Entschuldigung und des Bedauerns stehen, um den nächsten Kollegen zu bearbeiten. Gelegentlich deutete er in unsere Richtung, und dann blickte sein Gesprächspartner zu uns herüber und schüttelte vielleicht ungläubig den Kopf oder nickte bedächtig, um Cicero seiner Unterstützung zu versichern.
    »Was erzählt er da über mich?«, fragte Sthenius. »Was geht hier vor?«
    Da ich es selbst nicht wusste, konnte ich ihm diese Frage auch nicht beantworten.
    Hortensius hatte inzwischen gemerkt, dass etwas in der Luft lag, aber er wusste nicht, was. Die Tagesordnung war an der üblichen Stelle neben dem Eingang zum Senat ausgehängt worden. Ich sah, wie Hortensius stehen
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