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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Robert Harris
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Zeit lang brütete er vor sich hin. »Ein Mann in meiner Lage müsste verrückt sein, wenn er sich in ein Scharmützel mit dem Duo Hortensius/Verres einließe. Und das auch noch wegen eines Siziliers, der nicht mal Bürger Roms ist.«
    »Wie wahr.«
    »Wie wahr«, wiederholte er. Wegen der seltsam zögernden Art, wie er diese beiden Worte aussprach, frage ich mich allerdings noch heute manchmal, ob er nicht genau in dieser Sekunde eine Ahnung von der Tragweite des Falles bekommen hatte, von der außerordentlichen Palette an Möglichkeiten und daraus resultierenden Folgen, die sich plötzlich in seinem Kopf wie zu einem Mosaik zusammensetzten. Wenn ja, so habe ich es zumindest nie erfahren, denn in diesem Augenblick platzte noch im Nachthemd seine Tochter Tullia herein, um ihm eine ihrer kindlichen Zeichnungen zu zeigen. Sofort gehörte seine ganze Aufmerksamkeit ihr. Er hob sie hoch und setzte sie sich auf den Schoß. »Hast du das gezeichnet? Hast du das wirklich selbst gemacht …?«
    Ich ließ die beiden allein und ging ins Tablinum, um den Wartenden mitzuteilen, dass der Senator auf dem Weg ins Gericht sei und jetzt keine Zeit mehr habe. Der immer noch jämmerlich dreinblickende Sthenius fragte mich, wann er mit einer Antwort rechnen könne, worauf ich ihm nur sagen konnte, er müsse sich gedulden wie jeder andere auch. Kurz darauf erschien Cicero mit der kleinen Tullia an der Hand und begrüßte jeden mit Namen (»Die wichtigste Regel in der Politik, Tiro: Vergiss nie ein Gesicht!«). Wie immer war seine Erscheinung makellos: pomadisiertes, glatt zurückgekämmtes Haar, parfümierte Haut, die Toga frisch gewaschen und gebügelt, kein Staubkörnchen auf den rot glänzenden Lederschuhen, das Gesicht braun gebrannt vom jahrelangen Plädieren unter freiem Himmel. Gepflegt, schlank, fit. Kurz: ein glänzender Auftritt. Seine Gäste folgten ihm in den Flur, wo er sein kleines strahlendes Mädchen hochhob und den Anwesenden präsentierte. Dann drehte er Tullias Gesicht zu sich und küsste sie zum Abschied laut schmatzend auf die Lippen. Ein lang gezogenes »Ahh!«, vereinzeltes Klatschen war zu hören. Der Abschiedskuss war nicht nur Inszenierung - wenn er allein gewesen wäre, hätte er es nicht anders gemacht, denn sein Leben lang hat er nie jemanden mehr geliebt als seinen Liebling Tulliola. Aber er wusste auch, dass das römische Wahlvolk ein sentimentaler Haufen war, und wenn sich seine väterliche Hingabe herumsprach, würde ihm das jedenfalls nicht schaden.
    Und so traten wir an diesem vielversprechenden Novembermorgen hinaus in die zum Leben erwachende Stadt. Cicero ging voraus, ich an seiner Seite, die Wachstafel einsatzbereit; hinter uns Sositheus und Laurea mit den Körben, die die Beweismittel für Ciceros Auftritt bei Gericht enthielten; und um uns herum ein bunt zusammengewürfelter Haufen von etwa zwei Dutzend Bittstellern und Anhängern, darunter Sthenius, die die Aufmerksamkeit des Senators zu erregen versuchten, aber auch schon damit zufrieden waren, sich nur in seiner Nähe aufhalten zu dürfen. Von den Höhen des schattigen, vornehmen Esquilin tauchten wir in den lärmenden, dunstigen Gestank von Subura ein. Die Mietshäuser waren so hoch, dass kein Sonnenstrahl den Boden erreichte, und die schiebenden Menschenmengen rissen immer wieder Lücken in die Schar unserer Begleiter, die es jedoch irgendwie schafften, nie den Anschluss zu verlieren. Cicero war ein bekannter Mann in diesem Viertel, er war ein Held für die Ladenbesitzer und Händler, deren Interessen er vertreten hatte und die ihn schon seit Jahren durch ihre Straßen gehen sahen. Nicht ein einziges Mal verlangsamte er seinen schnellen Schritt, und doch registrierten seine wachsamen blauen Augen jeden geneigten Kopf, jede grüßende Hand, und nie musste ich ihm einen Namen ins Ohr flüstern - er kannte seine Wähler weit besser als ich.
    Ich weiß nicht, wie es heute ist, aber damals gab es sechs oder sieben Gerichtshöfe, die fast immer tagten, jeder in einem anderen Teil des Forums. Zur Stunde, wenn sie alle gleichzeitig ihre Sitzungen eröffneten, konnte man sich deshalb kaum rühren, so viele Anwälte und Gerichtsbedienstete eilten geschäftig herum. Das Gedränge wurde noch dadurch verschlimmert, dass dem Prätor jedes Gerichtshofes von seinem Wohnhaus bis zum Forum ein halbes Dutzend Liktoren voranging, die ihm den Weg bahnten, und so wollte es der Zufall, dass an jenem Tag unser kleines Gefolge genau zu jenem Zeitpunkt auf dem Forum
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