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Imperator

Imperator

Titel: Imperator
Autoren: Stephen Baxter
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Imperium derart verwildern ließ. Das ist meine Meinung. Deshalb wimmelt es in Gallien von Franken, in Spanien von Goten und im Süden Britanniens von Sachsen. Ich weiß es, wir waren dort unten. Sie machen sich nicht das Geringste aus unserer Lebensweise, und sie interessieren sich nur für sich selbst. Und wer ist jetzt stark genug, um sie hinauszuwerfen? Niemand, so sieht’s aus.«
    Tarcho grunzte. »Ich verstehe, worauf du bei der Sache mit Hadrian hinaus willst, Nennius. Aber sie hat recht. Wenn man über Entscheidungen und deren schreckliche Folgen sprechen will, muss man auch an Konstantin denken. Schließlich hat er seine Hauptstadt nach Konstantinopel verlegt und das ganze Geld mitgenommen.«
    »Dann gibt es noch eine andere Möglichkeit«, sagte Nennius. »Angenommen, Konstantin hätte seine Hauptstadt nicht in den Osten, sondern in den Westen verlegt – nach Gallien oder sogar nach Britannien, wo er immerhin zum Kaiser ausgerufen worden war. Stellt euch vor, das Imperium wäre von Londinium oder Eburacum aus regiert worden! Warum nicht? Britannien war relativ stabil und auch reich: Sein Getreide und seine Metalle haben die Armeen am Rhein und an der Donau über viele Generationen hinweg versorgt. Deshalb war Britannien der Sitz eines Usurpators nach dem anderen, darunter auch Konstantin selbst. Und hätte das Imperium mit der britannischen Garnison im Rücken nicht vielleicht doch gerettet
werden können, wenn die Kaiser sich auf uns statt auf die fetten Fleischtöpfe des Ostens konzentriert hätten?«
    Londinium als Hauptstadt des römischen Weltreichs! Der Gedanke war so atemberaubend, dass er sie alle einen Moment lang verstummen ließ – aber Isolde wusste, es war gar keine so abwägige Idee. Schließlich hatten viele der Usurpatoren der letzten paar Jahrzehnte vor der abschließenden britannischen Revolution versucht, ein separatistisches Imperium der westlichen Provinzen zu errichten.
    »Ich verstehe bloß nicht, was dieses ganze Gerede bezwecken soll«, sagte Maria jetzt. »Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn jemand dieses statt jenes getan hätte – na und? Was geschehen ist, ist geschehen. Die Vergangenheit mag für jene, die in ihr gelebt haben, formbar gewesen sein, Nennius, aber für uns ist sie zweifellos unabänderlich.«
    »Ach wirklich?«, erwiderte Nennius. »Habt ihr gelesen, was Augustinus über die Ewigkeit gesagt hat – wenn er gerade mal keine Hetzreden gegen Pelagius geschwungen hat, meine ich? Gott ist ewig, nicht zeitgebunden wie wir. Er ist über die Zeit erhaben  – ich glaube, so hat er’s ausgedrückt. Für ihn existieren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gemeinsam in einem zeitlosen Augenblick. Und wenn das so ist, könnte Gott dann nicht ebenso in die Vergangenheit eingreifen wie in die Zukunft?«
    Tarcho zupfte an seinem Schnurrbart. »Ah. Ich glaube, ich verstehe, worauf du hinauswillst, Vetter.«

    Nennius nickte. »Deshalb bin ich hergekommen. Wir müssen über Nectovelins Prophezeiung reden.« Und er zog Pergamente aus der Ledertasche, die vor ihm auf dem Tisch lag.

IV
    Nennius gab ihnen einen kurzen Überblick über die Geschichte der Prophezeiung: dass Nectovelins Mutter sie bei dessen Geburt von sich gegeben hatte, dass sie Ereignisse vorherzusagen schien, die während der Regentschaft von Claudius, Hadrian und Konstantin eingetreten waren. Ein Rest von ihr hatte in Form von Tätowierungen in der Haut von Generationen von Sklaven bis hin zu Audax überlebt. Doch abgesehen davon war sie für die Geschichte verloren – vielleicht.
    »Ich habe das hier«, sagte Nennius und schwenkte eines seiner Dokumente, eine abgegriffene Schriftrolle. »Das sind die Erinnerungen des Kaisers Claudius, der die Prophezeiung offenbar mit eigenen Augen gesehen hat. Dieses Schriftstück hat meinem Vater gehört; er hat es von Audax bekommen und mir bei seinem Tod hinterlassen. Die Prophezeiung, wie Claudius sie beschreibt, umfasste sechzehn Zeilen, und obwohl er sie hier nicht wiedergibt – er nimmt offenbar an, dass sie seinen Lesern vorliegt –, fasst er sie größtenteils so gut zusammen, dass man sie rekonstruieren kann.
    Diese Geschichte der Prophezeiung hat mich schon als kleines Kind fasziniert, als ich sie auf den Knien
meines Großvaters gehört habe. Sie handelt von Kaisern, versteht ihr, von drei römischen Kaisern, die nach Britannien kommen würden. Und sie enthält einen sehr wichtigen Abschnitt über Konstantin. Nach dem, was ich gelesen
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