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Imperator

Imperator

Titel: Imperator
Autoren: Stephen Baxter
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in die Linie des Walls ein. Außerhalb der Kastellmauern standen Häuser und andere Bauten, aber sie sahen verlassen aus, ihre Dächer fehlten, und die Lehmwände sanken wieder in die Erde.

    Sie fuhren durch einen Torweg in der Ostmauer. Die diensthabenden Soldaten ließen sie durch, nachdem sie einen kurzen Blick auf die Quittung des Meilen-Kastells und einen Transitbrief geworfen hatten, den Nennius von seinem Vetter Tarcho, dem hiesigen Kommandanten, bekommen hatte. In dem Kastell wimmelte es von Menschen, und es herrschte reges Leben und Treiben; Männer, Frauen und Kinder gingen ihren Angelegenheiten nach. Die zivile Siedlung draußen mochte verlassen sein, aber die Menschen waren nicht fortgegangen, sondern nur hinter die Mauern des Kastells umgezogen. Und die Soldaten waren offenkundig immer noch hier.
    Isolde erkannte einen Getreidespeicher, dessen Boden zu Belüftungszwecken erhöht war, einen zweiten Getreidespeicher, der leer zu stehen schien, und klotzige Gebäude, vielleicht das Hauptquartier des Kastells. Manche der Gebäude waren recht eindrucksvoll, groß und aus Stein errichtet. Viele waren jedoch baufällig, mit eingestürzten Dächern, und in ihren Mauern fehlten Steine, die offensichtlich gestohlen worden waren.
    Nennius war aufgeregt. Einst hätten ihre fernen Vorfahren hier gelebt, sagte er. Er wisse das, weil sein Großvater, Audax, ihm erzählt habe, dass die berühmte Prophezeiung hier in Banna das Licht der Welt erblickt habe. Aber von jener verlorenen urtümlichen Heimat war in diesem verfallenden Kastell keine Spur zu sehen, und selbst Nennius’ nostalgische Begeisterung erlahmte bald.

    Zu Isoldes Überraschung wurden sie zu dem intakten Getreidespeicher geführt. Als sie hineingingen, stellte sie fest, dass er in eine Halle umgewandelt worden war; hölzerne Trennwände unterteilten den Innenraum. In dem Gebäude roch es jedoch immer noch nach Landwirtschaft, fand Isolde, ein trockener, stechender Geruch von Getreide, das hier einst aufgehäuft worden war, um Hunderte inzwischen längst toter Soldaten zu ernähren.
    Sie wurden von Nennius’ Vetter Tarcho, dem Kommandanten von Banna, und seiner Frau Maria empfangen. Tarcho, augenscheinlich im selben Alter wie Nennius, in den Fünfzigern, war ein großer, schwerer, etwas dicklicher Mann mit borstigem Schnurrbart und hellen, rotblonden, grau melierten Haaren. Er trug die Insignien eines römischen Soldaten einschließlich eines hübschen Offiziersgürtels, aber auch eine Schulterspange und einen Gurt voller Messer, wie ein Sachse. Seine Frau, eine pummelige Kugel aus Energie und Geschäftigkeit, trug ebenfalls silberne Ärmelschließen, wie Isolde mit leisem Neid bemerkte. Die Sachsen selbst waren noch nicht in großer Zahl bis hierher vorgedrungen, ihre Mode aber offenbar schon.
    Nennius begrüßte Tarcho überschwänglich. Für ihn näherte sich eine lange Suche ihrem Ende. Für Isolde war es jedoch nur ein weiterer Tag ihrer Schwangerschaft, und ein langer, harter Tag obendrein.
    Maria sah es und nahm Isolde sofort unter ihre Fittiche. »Oh, meine Liebe, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Kein Wunder, ich hatte selber fünf, alles Jungen,
alle so dick wie ihr Vater, und schau ihn dir nur an. Komm«, sagte sie und nahm Isolde am Arm, »mal sehen, ob wir in dieser armseligen Soldatenhütte ein bequemes Plätzchen für dich finden …« Sie führte Isolde zu einem kleinen, abgeschiedenen Raum mit einer Liege und Kissen und brachte ihr warmes Wasser in einer Schüssel. Ihre Handfläche war rau, ihr Griff fest, die Haut trocken, die Hand einer Arbeiterin. »Ich weiß, du bist weit weg von zu Hause«, sagte Maria, »und du hast bestimmt Angst. Aber dein Vater und mein Mann sind Vettern, also bist du hier bei deiner Familie, nicht wahr? Und glaube mir, du bist hier besser aufgehoben als irgendwo sonst. Die Soldaten hatten schon immer die besten Ärzte. Du wirst in guten Händen sein, das verspreche ich dir.«
    »Danke«, sagte Isolde aufrichtig. Es war eine gewaltige Erleichterung, nicht ausschließlich auf ihren Vater angewiesen zu sein.
    Der Tag neigte sich bereits dem Ende entgegen. Sie legte sich hin und schlief eine Weile, um vor dem Abendessen wieder zu Kräften zu kommen.
    An diesem Abend gesellte sich Isolde als Letzte zu den anderen. Sie hatten sich im größten Raum der Getreidespeicher-Halle versammelt, der wie ein römisches triclinium mit Liegen um einen kleinen Tisch in der Mitte eingerichtet war. Nennius ließ sich über
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