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Imperator

Imperator

Titel: Imperator
Autoren: Stephen Baxter
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Alpha-Omega-Akrostichon – es ist alles da – oh, Tarcho, ich glaube, es ist wirklich echt! Und hier sind die Zeilen über Claudius und Hadrian … den ›kleinen Griechen‹, ha, ich wusste, was das bedeutete, meine Rekonstruktion war fast richtig. Dieser Verweis auf einen ›Gott als Kind‹ muss sich auf die Geburt des Christentums beziehen, denn in Hadrians Zeit hat unsere Religion Fuß gefasst.
    Oh, und hier sind die Zeilen, die sich auf Konstantin beziehen müssen. ›Erhoben in Brigantien, wird später er in Rom gepriesen, / Paladin eines Sklavengottes, am Ende selbst ein Gott. / Eingebunden in das Reich, bleibt von der Kirche toter Marmor nur.‹ … Ja, ja! Ist Konstantin nicht in Eburacum zum Kaiser ausgerufen worden? Hat man das Christentum nicht immer als Sklavenreligion bezeichnet? Hat er sich nicht nach seinem Tod vergöttlichen lassen, trotz seiner Bekehrung zum Christen? Und eine Kirche, die sich in toten Marmor verwandelt hat – ja, das bezieht sich gewiss auf Konstantins Institutionalisierung der Religion. Sie sagt die Wahrheit! Ich wusste es. Ich wusste die ganze Zeit,
dass die Prophezeiung echt war, dass sie wahrheitsgetreu war. Wenn Thalius und seine Ränkeschmiede dieses Dokument nur zur Gänze hätten sehen können! Wie anders wäre die Geschichte dann wohl verlaufen?«
    Isolde hörte kaum etwas von alledem. Ihre Welt schnurrte auf das Innere ihres Kopfes zusammen, das Aufblähen und Zusammenfallen ihrer Lungen und die pulsierenden Kontraktionen ihres Bauches.
    Maria flüsterte ihr ins Ohr: »Keine Angst, Liebes. Wir holen den Militärarzt. Er ist auch der Sohn eines Arztes. Ich habe dir ja gesagt, du bist in guten Händen …«
    Irgendwie fand Isolde die Worte schlüpfrig, sie entwanden sich ihrem Griff wie Fische in einem Fluss. Was waren Worte neben der blutigen Realität des Schmerzes? Aber noch während meerestiefe Qualen über ihren Körper spülten, verspürte sie den Zwang zu sprechen. Sie drehte den Kopf, öffnete den Mund – aber die Wörter, die ihr von den Lippen strömten, waren hart und unverständlich, selbst für sie. Sie versuchte es erneut, aber es kamen nur noch mehr fremdartige Wörter heraus.
    Tarcho drehte sich zu ihr um. Seine Neugier war erwacht. »Was sagt sie?«
    »Ich weiß es nicht.« Maria runzelte besorgt die Stirn. »Lateinisch ist es nicht – oder? Vielleicht irgendeine britannische Sprache.«
    »Ich glaube, es ist Germanisch«, sagte Tarcho. »Sächsisch vielleicht. Oder Anglisch. Weshalb sollte ein Mädchen wie sie lernen, sächsisch zu sprechen?«

    Aber das habe ich nicht gelernt , dachte Isolde, eingesperrt in ihrem eigenen Kopf. Sie versuchte erneut zu sprechen, aber ihrem Mund entströmte nur noch mehr von diesem sich wiederholenden Geplapper, diesem Sächsisch.
    »Ich weiß, was das bedeutet«, flüsterte Maria mit gerötetem Gesicht. »Es passiert noch einmal.«
    »Was?«, fragte Tarcho.
    »Die Prophezeiung! Du hast doch gehört, was Nennius erzählt hat. Es ist genauso wie bei Nectovelins Geburt – oh, hol einen Griffel, du Narr, und schreib es auf!«
    Tarcho machte große Augen. Dann verschwand er aus Isoldes Blickfeld.
    Isolde wünschte sich so sehr, dass ihr Vater zu ihr käme, aber er grübelte immer noch über seinem Dokument. »Und die letzten Zeilen der Prophezeiung – endlich! …«
    Der Schmerz wurde noch stärker. »Es kommt!«, rief Maria.
    Nennius las: »›Ruf ins Gedächtnis dir die Wahrheiten, die wir für selbstverständlich halten …‹«
    »Der Kopf des Kindes – ich kann ihn sehen!«
    Selbst jetzt, als ihr ganzer Körper vor Schmerz pulsierte, plapperte Isolde hilflos sächsisch.
    »Weshalb spricht sie sächsisch?«, knurrte Tarcho. »Die Zukunft ist brigantisch, nicht sächsisch!«
    »Das liegt vielleicht nicht in deiner Hand«, sagte Maria. »Und jetzt halt den Mund, du Narr, und hilf mir.«

    »›Ich sage dir, dass alle Menschen gleich und frei erschaffen sind, mit/Rechten, unveräußerlich, vom Schöpfer ihnen zugeeignet; / Etwa dem Recht auf Leben, Freiheit und aufs Glücksbestreben …‹« Nennius’ Stimme klang verblüfft. »Leben, Freiheit und das Streben nach Glück? Was hat das zu bedeuten? Wenn das die Worte des Webers sind, was ist das für ein Traum? Oh, was hat das zu bedeuten?«
    Der Schmerz packte Isolde wie eine gewaltige Faust, und ihr Kind fiel Maria in die Arme.
     
     
     
    Lesen Sie weiter in:
STEPHEN BAXTER
EROBERER
Die Zeit-Verschwörung
Zweiter Roman

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