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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis
Autoren: Raymond Khoury
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und musterte ihn kurz, bevor er in beißendem Ton fortfuhr: «Und Sie können mit Ihrem wirklichen Namen anfangen.»
    «Mit meinem wirklichen Namen?»
    «Lassen Sie uns keine Spielchen spielen, marquese .» Er zog das letzte Wort spöttisch in die Länge, und sein Blick war voller Herablassung. «Ich habe Ihre Papiere überprüfen lassen. Sie sind gefälscht. Tatsächlich scheint nichts von den vagen Andeutungen, die Sie seit Ihrer Ankunft hier gemacht haben, auch nur ein Körnchen Wahrheit zu enthalten.»
    Montferrat wusste, dass sein Ankläger über die nötigen Mittel zu solchen Nachforschungen verfügte. Raimondo di Sangro hatte im zarten Alter von sechzehn Jahren nach dem Tod seiner beiden Brüder den Titel Principe di San Severo – Fürst von San Severo – geerbt, und er zählte den jungen spanischen König von Neapel und Sizilien, Karl   VII., zu seinen Freunden und Bewunderern.
    Wie habe ich diesen Mann so falsch einschätzen können? , dachte Montferrat mit aufkeimendem Entsetzen. Und diesen Ort dazu?
    Nach Jahren quälerischer Selbstzweifel hatte er seine Suche im Orient vor weniger als einem Jahr aufgegeben, war nach Europa zurückgekehrt und über Konstantinopel und Venedig nach Neapel gekommen. Er hatte nicht die Absicht gehabt, in dieser Stadt zu bleiben; sein Plan war es gewesen, nach Messina weiterzureisen und von dort mit dem Schiff nach Spanien und dann vielleicht nach Hause, nach Portugal, zu fahren.
    Bei diesem Gedanken hielt er inne.
    Nach Hause.
    Ein Wort, das für andere gedacht war, nicht für ihn. Ein leeres, hohles Wort, das der Zahn der Zeit abgenagt hatte wie einen Knochen, bis es kleinen Klang mehr hatte.
    Zurück in Neapel, hatte er den Gedanken an Kapitulation revidiert. Unter den spanischen Vizekönigen war es nach Paris zur bedeutendsten Stadt Europas herangewachsen, und außerdem war es Teil eines neuen Europa, das er jetzt entdeckte und das anders war als das Europa, das er verlassen hatte. Hier führten die Ideen der Aufklärung die Menschen in eine neue Zukunft. In Neapel war es Karl   VII., der dieses Gedankengut aufgenommen und unterstützt hatte. Er förderte Diskurs, Bildung und kulturelle Debatte. Außerdem hatte er eine Nationalbibliothek gegründet und ein archäologisches Museum für die Funde eingerichtet, die in den kürzlich entdeckten Städten Herculaneum und Pompeji zutage gefördert wurden. Verlockend war überdies die Feindseligkeit des Königs gegen die Inquisition, die wie ein Fluch auf Montferrats früherem Leben gelegen hatte. Stets auf der Hut vor dem Einfluss der Jesuiten, hatte der König sich mit großer Umsicht bemüht, ihr zu trotzen, und es war ihm gelungen, ohne den Zorn des Papstes zu erregen.
    Marquis de Montferrat – so hatte sein Name viele Jahre zuvor in Venedig gelautet, und nun hatte er ihn erneut angenommen. Es war leicht gewesen, in der geschäftigen Stadt unterzutauchen. Mehrere Länder hatten in Neapel Akademien gegründet, um den steten Strom der Reisenden zu beherbergen, die kamen, um die eben ausgegrabenen römischen Städte zu studieren. Schon bald hatte er Kontakt zu Gelehrten aus der Stadt und aus ganz Europa, gleichgesinnten Männern mit wachem Verstand.
    Männern wie Raimondo di Sangro.
    Ein wacher Verstand, wahrhaftig.
    «So viele Lügen», fuhr di Sangro fort. Er wog die Pistole in der Hand und beäugte Montferrat. In seinen Augen funkelte unverhohlene Habgier. «Es ist schon faszinierend, wenn auch ziemlich merkwürdig, dass diese reizende alte Dame, die Contessa di Czergy, behauptet, sie habe Sie unter ebendiesem Namen in Venedig gekannt. Montferrat … wie viele Jahre ist das jetzt her? Dreißig? Mehr?»
    Der Name durchbohrte den Marquis wie eine stählerne Klinge. Er weiß es. Nein, er kann es nicht wissen. Aber er hat einen Verdacht.
    «Natürlich ist der Verstand der Alten auch nicht mehr das, was er mal war. Irgendwann bringt die Zeit uns alle zur Strecke, nicht wahr? Aber was Sie angeht – sie beharrte so entschlossen und unerschütterlich auf ihrer Erinnerung … da fiel es wahrlich schwer, ihre Worte als das wahnhafte Gefasel eines alten Weibes abzutun. Und dann finde ich heraus, dass Sie Arabisch sprechen wie ein Einheimischer. Dass Sie Konstantinopel kennen wie Ihre Westentasche und dass Sie ausgedehnte Reisen durch den Orient unternommen haben, verkleidet als arabischer Scheich – und zwar makellos, wie ich höre. So viele Geheimnisse für einen einzelnen Mann, marquese – das ist weder logisch noch
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