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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis
Autoren: Raymond Khoury
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Wahnsinnsakt.
    Es waren Männer und Frauen. Junge und Alte. Kinder – mindestens ein Dutzend, Jungen und Mädchen. Alle trugen die gleichen weißen Overalls.
    Die letzte Zelle würde Rucker bis ans Ende seiner Tage nicht vergessen.
    Auf dem kahlen weißen Boden lagen die ausgestreckten Leichen zweier Jungen. Ihre Köpfe waren erst kürzlich kahl geschoren worden. Sie starrten ihn aus blicklosen Augen an. Kleine kraterförmige Einstichwunden reihten sich quer über die Stirn, rings um die haarlosen Schädel blutig glänzend. Und in die Zellenwand war eine plumpe Zeichnung geritzt, vielleicht mit einer Gabel oder einem anderen stumpfen Werkzeug.
    Eine Schlange, zu einem Kreis geschlungen. Sie verschluckte ihren eigenen Schwanz.

 
    II
    NEAPEL – NOVEMBER 1749
    Das Scharren war kaum zu hören, aber es weckte ihn trotzdem. Es war kaum laut genug, um jemanden aus tiefem Schlaf zu holen, aber er schlief ja schon seit Jahren nicht mehr gut.
    Es klang wie das Kratzen von Metall auf Stein.
    Vielleicht war es gar nichts. Ein beruhigendes Alltagsgeräusch. Einer der Dienstboten, der schon früh auf den Beinen war.
    Vielleicht.
    Möglicherweise war es aber auch etwas weniger Glückverheißendes. Ein Degen zum Beispiel. Der versehentlich an der Wand entlangschrammte.
    Jemand ist hier.
    Er richtete sich auf und lauschte angestrengt. Einen Augenblick lang war es totenstill. Dann hörte er erneut ein Geräusch.
    Schritte.
    Jemand stahl sich die kalten Kalksteinstufen herauf.
    Kaum hörbar, aber da.
    Und er kam näher.
    Er sprang aus dem Bett und hinüber zu der Tür, die dem Kamin gegenüber auf einen kleinen Balkon hinausführte. Er zog den Vorhang zur Seite, öffnete leise die Tür und trat hinaus in die schneidend kalte Nachtluft. Der Winter nahte mit großen Schritten, und seine bloßen Füße wurden auf den Steinfliesen eiskalt. Er beugte sich über die Balustrade und spähte hinunter. Der Hof des Palazzos lag in schwarzer Finsternis. Er blickte scharf umher und hielt Ausschau nach einem Lichtreflex, einer blinkenden Bewegung, aber dort unten schien sich nichts zu rühren. Kein Pferd, kein Wagen, kein Stallknecht, kein Diener. Die Umrisse der Häuser auf der anderen Straßenseite und weiter hinten waren kaum sichtbar vor dem ersten Schimmer des Morgengrauens, das sich hinter dem Vesuv andeutete. Er hatte die Sonne schon manchmal hinter dem Berg und seiner unheilvollen grauen Rauchfahne aufgehen sehen. Es war ein majestätischer, eindrucksvoller Anblick, der ihm meistens Trost spendete, wenn sonst nichts mehr half.
    Heute Nacht war alles anders. Er spürte ein bösartiges Prickeln in der Luft.
    Schnell lief er zurück ins Zimmer und zog seine Kniehose und ein Hemd an. Mit den Knöpfen hielt er sich nicht auf. Es gab Dringenderes zu tun. Er stürzte zu seiner Kommode und riss die oberste Schublade auf. Eben umfassten seine Finger den Griff des Dolches, als die Tür zu seinem Schlafzimmer aufflog und drei Männer hereinstürmten. Sie hatten ihre Degen schon gezückt. Im trüben Licht der erlöschenden Glut im Kamin sah er, dass der Mann in der Mitte außerdem eine Pistole in der Hand hielt.
    Der Feuerschein vom Kamin genügte. Er erkannte den Mann. Und sofort wusste er, worum es ging.
    «Machen Sie keine Dummheiten, Montferrat», schnarrte der Anführer.
    Der Mann, Marquis de Montferrat genannt, hob beruhigend die Arme und trat mit einem vorsichtigen Schritt von der Kommode weg. Die Eindringlinge nahmen ihn in die Zange, ihre Klingen bedrohlich auf sein Gesicht gerichtet.
    «Was wollen Sie hier?», fragte er wachsam.
    Raimondo di Sangro schob den Degen in die Scheide und legte seine Pistole auf den Tisch. Er stieß dem Marquis mit dem Fuß einen Stuhl hinüber, der in einem Spalt zwischen den Bodendielen hängenblieb und polternd umkippte. «Setzen Sie sich», befahl di Sangro schroff. «Ich fürchte, es wird ein Weilchen dauern.»
    Ohne di Sangro aus den Augen zu lassen, stellte Montferrat den Stuhl wieder auf und nahm zögernd Platz. «Was wollen Sie?»
    Di Sangro fachte am Kamin einen Kienspan an, mit dem er eine Öllampe entzündete. Er stellte die Lampe auf den Tisch, griff zu seiner Pistole und winkte seine Männer verächtlich hinaus. Sie nickten, verließen das Zimmer und schlossen die Tür hinter sich. Di Sangro zog einen zweiten Stuhl heran und ließ sich rittlings darauf nieder, seinem Opfer gegenüber. «Sie wissen genau, was ich will, Montferrat.» Er richtete die doppelläufige Steinschlosspistole auf den Marquis
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