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Immer dieser Michel

Immer dieser Michel

Titel: Immer dieser Michel
Autoren: Astrid Lindgren
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fuhr. Wie gut, daß er daran gedacht hatte!
    "Was soll ich zum Abendbrot kochen?" schrie Lina, gerade als der Wagen davonrollen wollte.
    "Mach, was du willst", rief Michels Mutter. "Ich habe jetzt an anderes zu denken."
    "Dann koche ich wohl Rindfleischsuppe", sagte Lina. Aber im selben Augenblick sah sie etwas Geblümtes hinten an der Wegbiegung verschwinden, und sie dachte daran, was geschehen war. Sie wandte sich sorgenvoll zu Alfred und der kleinen Ida.
    "Es wird wohl statt dessen Brot und kaltes Schweinefleisch geben", sagte sie.
    Michel war schon mehrere Male nach Mariannelund gefahren.
    Ihm hatte es gefallen, dort hoch oben auf dem Pferdewagen zu sitzen und auszuschauen, wie der Weg sich bog, und die Hofe zu sehen, an denen er vorbeifuhr, und die Kinder, die in den Höfen wohnten, und die Hunde, die hinter den Zäunen bellten, und die Pferde und Kühe, die auf den Wiesen weideten.
    Aber jetzt war es weniger schön. Jetzt saß er da mit einer Suppenschüssel über den Augen und sah nur ein kleines Stück von seinen eigenen Knöpfstiefeln - durch den schmalen Spalt unter der Suppenschüsselkante, Immerfort mußte er seinen Vater fragen: "Wo sind wir jetzt? Sind wir schon am Pfannkuchenhof vorbeigefahren? Kommen wir bald zur Schweinestelle?"
    Michel hatte sich nämlich für alle Höfe, die am Wege lagen, eigene Namen ausgedacht. Pfannkuchenhof hieß ein Hof, weil dort einmal zwei dicke Kinder am Zaun gestanden und Pfannkuchen gegessen hatten, als Michel vorbeigefahren war.
    Und die Schweinestelie war nach einem kleinen lustigen Schweinchen benannt, dem Michel manchmal den Rücken kratzte.
    Aber jetzt saß Michel dort im Dunkeln mit der Schüssel auf dem Kopf und sah hinunter auf seine Knöpfstiefel und sah weder Pfannkuchen noch ein lustiges Schweinchen. Kein Wunder, daß 9
    er nörgelte: "Wo sind wir jetzt? Kommen wir nicht bald nach Mariannelund?"
    Das Wartezimmer des Arztes war voller Menschen, als Michel mit seiner Suppenschüssel eintrat. Alle, die dort saßen, bedauerten ihn sofort. Sie begriffen, daß ein Unglück geschehen war. Nur ein kleiner alter Mann lachte boshaft, als sei es etwas Lustiges, in Suppenschüsseln festzustecken.
    "Hohoho", lachte der Alte. "Frierst du an den Ohren?"
    "Nein", sagte Michel.
    "So? Wozu brauchst du dann aber den Ohrenschützer?"
    "Weil ich sonst an den Ohren friere", sagte Michel. Er konnte wahrhaftig witzig sein, wenn er auch klein war.
    Aber dann durfte Michel zum Doktor hinein, und der Doktor lachte nicht über ihn. Er sagte nur: "Guten Tag, guten Tag! Was machst du da drinnen?" Michel konnte den Doktor zwar nicht sehen, aber begrüßen
    mußte er ihn jedenfalls. Deshalb verbeugte er sich, so tief er konnte - mitsamt der Suppenschüssel natürlich. Da krachte es.
    Fang, war zu hören, und da lag die Suppenschüssel und war in zwei Teile zersprungen. Denn so hart hatte Michels Kopf auf den Schreibtisch des Doktors geschlagen.
    "Da sind vier Kronen in Scherben gegangen", sagte Michels Vater leise zur Mutter. Doch der Doktor hörte es.
    "Ja, aber Sie haben trotzdem eine Krone verdient", sagte er.
    "Denn ich pflege fünf Kronen zu bekommen, wenn ich kleine Jungen aus Suppenschüsseln heraushole. Und er hat ja nun die Sache selbst erledigt."
    Da wurde Michels Vater froh, und er war Michel dankbar, daß er die Schüssel zerschlagen und eine Krone verdient hatte. Schnell nahm er die Schüsselhälften und Michel und Michels Mutter und ging.
    Aber als sie auf die Straße kamen, sagte die Mutter: "Wie schön, jetzt haben wir eine Krone verdient! Was wollen wir dafür kaufen?"

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    "Hier wird nichts gekauft", sagte der Vater, "Die Krone werden wir sparen. Aber es ist nicht mehr als recht und billig, wenn Michel fünf Ore bekommt, die darf er zu Hause in sein Sparschwein stecken."
    Und er nahm sofort ein Fünförestück aus seiner Geldbörse und gab es Michel. Ob Michel da wohl glücklich war!
    Und dann machten sie sich auf den Weg nach Hause, nach Lönneberga. Michel saß auf der hinteren Sitzbank mit dem Fünförestück in der Faust und seiner "Müsse" auf dem Kopf und sah vergnügt auf alle Kinder und Hunde und Pferde und Kühe und Schweine herab, an denen sie vorbeifuhren.
    Wäre Michel nun ein gewöhnlicher Junge gewesen, so wäre an diesem Tage nichts mehr passiert. Aber Michel war kein gewöhnlicher Junge. Vergnügt, wie er so dasaß, steckte er das Fünförestück in den Mund, und gerade als sie an der Schweinestelle vorbeifuhren, hörte man vom Hintersitz ein kleines Plopp.
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