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Immer dieser Michel

Immer dieser Michel

Titel: Immer dieser Michel
Autoren: Astrid Lindgren
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herrlichen Brotlaiben neben dem Klapptisch mit all den gelben Käsen und den Tonkrügen mit frisch gekirnter Butter.
    Hinter dem Tisch stand der Holzbottich, voll mit eingesalzenem Schweinefleisch, und daneben der große Schrank, wo Michels Mutter ihren Himbeersaft aufbewahrte und ihre Essiggurken und ihre Ingwerbirnen und ihr Erdbeergelee. Aber auf dem mittleren Brett im Schrank hatte sie ihre gute Wurst.
    Michel mochte Wurst, wahrhaftig!
    Das Festessen auf Katthult war nun in vollem Gange, die Gäste hatten Kaffee und viel Gebäck bekommen. Jetzt saßen sie da und warteten darauf, daß sie wieder hungrig wurden, damit sie Schweinebraten und Heringssalat und all das andere essen konnten.
    Aber auf einmal schrie Michels Mutter auf:
    "Oh, wir haben ja Michel vergessen! Nun hat er zu lange sitzen müssen, der arme Junge!"
    Michels Vater lief sofort zu dem Tischlerschuppen, und die kleine Ida lief hinterher.
    "Jetzt darfst du herauskommen, Michel", rief der Vater und öffnete die Tür ganz weit. Aber da war kein Michel.

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    "Er ist durch das Fenster entwischt, dieser Schlauberger", sagte der Vater.
    Aber als er hinaussah und die Brennesseln erblickte, die da unter dem Fenster so gerade und aufrecht standen und überhaupt nicht heruntergetrampelt waren, wurde er unruhig.
    "Das hier geht nicht mit rechten Dingen zu", sagte er. "Da hat niemand hineingetreten, kein Menschenfuß zumindest."
    Klein-Ida fing an zu weinen. Was war mit Michel geschehen?
    Lina sang immer ein Lied, das sehr traurig war. Es handelte von einem Mädchen, das in eine weiße Taube verwandelt wurde und zum Himmel aufflog und nicht mehr in der häßlichen Nägeltonne sitzen mußte, in die man es eingeschlossen hatte. Michel war tatsächlich eingeschlossen gewesen. Wer weiß, ob er nicht auch verwandelt worden und aufgeflogen war! Klein-Ida blickte sich um, ob eine weiße Taube zu sehen war. Aber das einzige, was sie sah, war eine fette weiße Henne, die vor dem Tischlerschuppen umherlief und Würmer pickte.
    Die kleine Ida weinte und zeigte auf die Henne.
    "Das ist vielleicht Michel", sagte sie.
    Michels Vater glaubte das nicht. Aber um der Sicherheit willen lief er zur Mutter und fragte, ob sie jemals bemerkt hätte, daß Michel fliegen könne.
    Das hatte sie nicht. Und jetzt wurde es lebendig auf Katthult. Das Essen konnte warten. Alle liefen hinaus, um Michel zu suchen.
    "Er muß doch aber im Tischlerschuppen sein", sagte die Mutter, und alle stürzten dorthin, um gründlicher nachzusehen.
    Aber dort war kein Michel. Dort waren nur sechsundvierzig kleine Holzmännchen in einer Reihe auf einem Regal aufgestellt.
    Frau Petrell hatte noch nie so viele Holzmänner auf einmal ge-|
    sehen, und sie fragte, wer sie geschnitzt hätte.
    "Kein anderer als unser Michel", sagte Michels Mutter und fing an zu weinen. "Er war ein lieber kleiner Junge."
    "O ja", sagte Lina und legte den Kopf in den Nacken. Und dann fügte sie hinzu: "Das beste wäre, noch in der Vorratskammer zu 22
    suchen. "Das war gar nicht so dumm gedacht. Alle stürzten zur großen Vorratskammer. Aber auch dort war kein Michel!
    Die kleine Ida weinte leise und beharrlich, und als es niemand sah, ging sie zu der weißen Henne und flüsterte: "Flieg nicht zum Himmel auf, liebster Michel! Ich werde dir Hühnerfutter geben und Küchenabfälle, ganze Eimer voll, wenn du nur auf Katthult bleibst!"
    Aber die Henne wollte nichts versprechen. Sie gackerte und ging ihren Weg.
    Ja, die armen Menschen auf Katthult, wie sie suchten! Im Holzschuppen und in der Mangelstube, aber da war kein Michel!
    Im Pferdestall, im Kuhstall, im Schweinestall und im Hühnerstall
    - da war kein Michel! Im Schafstall, im Räucherhaus und im Waschhaus - kein Michel! Schließlich sahen sie in den Brunnen.
    Auch dort war kein Michel, und das war ja immerhin gut, aber jetzt weinten sie alle zusammen. Und die Lönneberger flüsterten einander zu:
    "Eigentlich war er ein lieber kleiner Kerl, dieser Michel! Ein richtig übler Bengel war er nicht - und das habe ich auch nie gesagt!"
    "Er ist sicher in den Bach gefallen", sagte Lina. Der Katthult-bach war wild und brausend und gefährlich, dort konnten kleine Kinder leicht ertrinken.
    "Dorthin durfte er nicht gehen, das weißt du doch", sagte Michels Mutter streng.
    Lina legte den Kopf in den Nacken.
    "Gerade deswegen", sagte sie.
    Da liefen sie alle zum Bach. Glücklicherweise fanden sie Michel dort auch nicht. Trotzdem weinten sie, noch mehr als zuvor. Und Michels Mutter hatte
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