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Imagon

Imagon

Titel: Imagon
Autoren: Michael Marrak
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benannt – in diesem Fall Asqenaesset. Man spricht also vom Asqenaesset-Meteoriten. Am 18. Februar berichtete erstmals das dänische Fernsehen über das Ereignis. Eine Woche später hörte man in Österreich von einem vier Millionen Tonnen schweren Meteoriten, der im Umkreis von 600 Kilometern die Nacht zum Tag gemacht haben soll. Vier Millionen Tonnen – das bedeutet mindestens einhundert Meter Durchmesser.« Ich konnte mir ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. »Die Jagd nach dem Meteoriten hatte also begonnen. Dichte Schneefälle über Ostgrönland machten eine visuelle Suche unrealistisch – also musste Radar her, das auch Wolken, Schnee und Eis durchdringen konnte. Eine Gulfstream G-3 der dänischen Luftwaffe wurde mit solch speziellem Radar ausgestattet. Zwei Radarsatelliten der ESA sollten dieselbe Region aus der Umlaufbahn fotografieren. Am 27. Februar wurde ein Gebiet von 10.000 Quadratkilometern erfasst; einhundert Milliarden Bytes an Information.
    Das Zielgebiet erwies sich als sehr heterogen, mit Inlandeis, Gletschern, Bergen und Fjorden. Verdächtige Strukturen wurden ausgewertet, doch man fand keinen eindeutigen Hinweis auf einen Krater. Auch die Meldung, etwas weiter nordwestlich sei ein Krater von einem Flugzeug aus gesichtet worden, wurde überprüft; ohne das erhoffte Resultat. Eine riesige Kuhle im Eis, die ein anderes Flugzeug wenige Tage zuvor geortet hatte, erwies sich als natürliche Senke.
    Inzwischen hatten wir die Satellitenaufnahmen der Wolke analysiert. Wir hatten sie mit Computersimulation von Impaktwolken auf Basis der Beobachtungen des Shoemaker-Levy-Einschlags auf dem Jupiter verglichen, und auch mit natürlichen Wolken, die im selben Gebiet in den Jahren davor auf Satellitenaufnahmen zu erkennen gewesen waren und ganz ähnlich aussahen. Fazit: Diese Wolke war zwar ein außergewöhnliches, aber rein meteorologisches Phänomen. Sie war keine Impaktwolke.
    Damit war auch die Massenschätzung von vier Millionen Tonnen vom Tisch. Die Vermutung eines Impaktbebens erlitt ein ähnliches Schicksal: In ganz Kanada waren in der besagten Nacht die Seismographen ruhig geblieben. Grönlands Stationen registrierten zwar ein Beben aus dieser Region, jedoch nicht in der Intensität, die ein Impakt dieser Stärke eigentlich hätte erwarten lassen. So konnte die Interpretation des seismischen Ereignisses als Impaktbeben nicht länger aufrechterhalten werden.
    Am 5. März sprach ich gegenüber der Presse von einem überwiegend aus instabilem Gestein und gefrorenem Gas bestehenden Meteoriten, der mit einer Geschwindigkeit von 50.000 Stundenkilometern in die Erdatmosphäre eingetreten war. Letzten Zeugenaussagen zufolge dürfte der Körper im Flug zerplatzt sein. Was seine Herkunft anbelangt, teilen sich die Meinungen. So soll er zu den Geminiden gehört haben, einem Meteoriten-Schwarm, womöglich der Rest eines ausgebrannten Kometen, der kurz vor dem Einschlag die Erdbahn kreuzte. Die Amerikaner hingegen vermuten, bei KCL-1102 handle es sich um ein Bruchstück des Kleinplaneten 4100 Laephon, der die Erdbahn am 7. Februar passierte. Nur wenige Tage später erreichte die Erde diesen Kreuzungspunkt und könnte sich dabei dieses Bruchstück eingefangen haben.
    Ob jemals Überreste des Meteoriten gefunden werden, steht dahin. Die Trümmerstücke dürften sich längst tief in den grönländischen Eispanzer eingegraben haben. Starke Schneefälle haben seither die Einschlagskrater zugedeckt. Aus einem vermeintlichen Jahrtausendimpakt wurde also ein im planetaren Maßstab durchaus übliches Ereignis. Und doch bleiben Fragen offen: Woher kam das Beben? Warum wurde es von einigen Stationen registriert, von anderen nicht? Welcher Natur war die Wolke? Wie war sie entstanden? Warum traten drei höchst ungewöhnliche Ereignisse – gewaltiger Lichtblitz, Beben, seltene Wolke – praktisch zur gleichen Zeit am gleichen Ort auf? Nur Überinterpretation? Oder Sensationslust?«
     
    Für einige Sekunden herrschte Stille, als erwarteten alle, dass ich noch etwas hinzufügte. Mit einem knappen Rundblick bestätigte ich jedoch, dass ich meinen Part abgeschlossen hatte.
    »Ich muss betonen«, ergriff Mertens nach einer angemessenen Pause wieder das Wort, »dass es sich hierbei um die offizielle Erklärung gehandelt hat – für die Presse, für die Öffentlichkeit.« Er warf mir einen Blick zu, ehe er fortfuhr: »Die Wahrheit ist: Auf den soeben vorgeführten Satellitenbildern hat niemals eine Wolke existiert. Sie wurde
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