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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren
Autoren: Federica de Cesco
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seinen Füßen und er spürte die Atemzüge des schlafenden Vulkans …

14
    D ie schwarzen Gestalten der beiden Frauen kauerten so regungslos in der Dunkelheit, dass sie ein Teil des Gesteins zu sein schienen, an dem sie lehnten. Als er zu ihnen trat, erhoben sie sich. Einen Augenblick lang standen sie sich stumm gegenüber. Kubichis Gesicht lag im Schatten; er sah den bläulichen Schimmer ihrer Augen und spürte ihre Erregung, doch sie sagte kein Wort. Endlich brach er den Bann des Schweigens.
    Â»Ich bin bereit«, sagte er ruhig und hörte, wie ein tiefer, befreiender Atemzug über Kubichis Lippen kam.
    Die alte Frau hob langsam und feierlich beide Hände; sie legte die Fingerspitzen an sein Herz, um das Klopfen zu verspüren. Er rührte sich nicht. Emekkas Gesichtszüge waren starr, ihre Augen halb geschlossen. Dann ließ sie die Arme sinken und wandte sich ab. »Folgt mir«, sprach sie. »Es ist Zeit.«
    Sie wanderten den Berghang entlang. Susanoos Blick schweifte über das Geröll und die Lavabrocken. Man hätte meinen können, dass hier ein Felsen in tausend Stücke zersprungen war und seine Splitter über den ganzen Hang verstreut hatte. Die beiden Frauen schienen mühelos ihren Weg in der Dunkelheit zu finden. Plötzlich blieb Emekka stehen. Vor ihren Füßen fiel der Boden fast senkrecht ab. Sie standen vor einem Kraterkessel, der von Basaltwänden umschlossen war. Die Felsen glänzten in der Nacht wie hohe schwarze Spiegel.
    Emekka wandte Susanoo ihr ausdrucksloses Gesicht zu. »Hier ist die Stelle, wo Kamui-Huchi, der Feuergott, einst die Erde betrat. Vor vielen Menschenaltern waren unsere Vorfahren Zeugen, wie der Gott mit großem Getöse die Wolkendecke durchbrach, den Himmel erleuchtete und den Berg in Brand setzte.«
    Susanoo wusste, dass manchmal Steine vom Himmel fielen und tiefe Narben in der Erdkruste hinterließen. Aber vielleicht war es wirklich der Gott gewesen, dessen Flammenschwingen die Erde berührt und die Felsen zerschmolzen hatten …
    Emekka gab ihm ein Zeichen, ihr zu folgen. Ein kaum sichtbarer Pfad führte in die Tiefe. Der Abstieg war sehr steil. Der Grund des Kraters war mit grobkörniger, glitzernder Asche bedeckt. Als Susanoo den Kopf hob, sah er hoch über sich das strahlende Sternbild. Er spürte deutlich die Bewegung des Planeten; spürte die unermessliche Macht der Gestirne, die geheimnisvollen Kräfte des Alls, die die Lufthülle um den Erdenstern festhielten, während der harte Kern sich drehte und die Schöpfungsfeuer in verborgenen Höhlen schlummerten.
    Die Beklemmung fiel von ihm ab. Zweifel und Furcht waren von ihm gewichen; tiefer Friede strömte in sein Herz. Er fühlte sich im Einklang mit dem Himmel, den Gestirnen, der Erde und allen ihren Geschöpfen, den Lebenden und den Toten …
    Sein Blick schweifte auf Kubichi zurück, die regungslos vor ihm auf den Fersen kniete. Ihr Gesicht leuchtete wie Perlmutter. Ihre Augen hatten einen fast fiebrigen Glanz und ein leises Lächeln umspielte ihren Mund. Er brauchte sie nur anzusehen und sein Blut pulsierte schneller.
    Emekka hatte in die Mitte des Kraters drei große Steine gelegt und mit getrocknetem Salbei ein Feuer entfacht. »Die drei Steine«, sprach sie, »stellen die Erde dar. Das Feuer ist das Symbol des Gottes Kamui-Huchi.«
    Als die Steine heiß waren, mischte sie die Asche; ein bläulicher, herb duftender Rauch stieg auf. Emekka nahm die glühende Asche mit bloßen Händen auf und streute sie so, dass sie einen Pfad bildete, der in nördlicher Richtung wies. Dort wo der Pfad endete, häufte sie die Asche zu einem kleinen Hügel auf. Ihre heisere und zugleich weiche Stimme sprach in singendem Tonfall weiter: »Das ist der heilige Weg unseres Volkes. Auf dir, Mutter Erde, ziehe ich den Pfad, der zu Oina-Kamui, dem Schöpfer allen Lebens, führt.«
    Sie richtete sich auf, stand mit ausgebreiteten Armen hinter dem glühenden Aschenhügel. Susanoo konnte nicht die geringste Spur einer Verbrennung an ihren Handflächen entdecken.
    Â»Kommt jetzt zu mir«, fuhr sie fort, »und wandelt über den Pfad des Lebens; nähert euch dem Gott, der euch aus dem Nichts erschaffen hat …«
    Kubichi erhob sich und begann, mit langsamen, ruhigen Schritten über die glühende Asche zu schreiten. Susanoo folgte ihr. Ihm war, als ob sein Geist sich aus dem Körper
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