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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren
Autoren: Federica de Cesco
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ankündigt und die blutrote Sonne am Himmelssaum verweilt, bevor sie dem Schatten der Nacht weicht. Susanoo sah den Berg langsam aus der saphirblauen Dämmerung emporwachsen; seine Hänge hatten jetzt die Farbe glühend roter Asche. Er fühlte sich auf der Schwelle zu einer gänzlich fremden und doch seltsam vertrauten Welt und überließ sich ohne Verwunderung dem ebenso dunklen wie unwiderstehlichen Trieb, der ihn dieser anderen Welt entgegenführte.
    Die Sonne sank tiefer. Der fast schwarze Horizont schien die flimmernde Scheibe aufzusaugen. Kälte drang aus dem Wasser, das glatt und schwarz wie Obsidian unter den Bäumen schimmerte. Die Nacht brach schnell herein. Nur auf dem Gipfel des Kunne-Iomante strömte wie aus einer geheimnisvollen Quelle das rötliche Licht.
    Â»Bald verengt sich der Flusslauf«, sagte Kubichi. »Wir müssen hier an Land gehen.«
    Ihre Stimme hatte den gleichen leisen, klaren Klang, doch eine eigentümliche Kraft ging von ihr aus. Sie schien ein Wissen zu besitzen, das völlig außerhalb menschlicher Vorstellungen lag.
    Sie paddelten ans Ufer und befestigten das Floß an einem Stein. Dann machten sie sich auf den Weg durch den Wald. Kubichi ging mit ihren geschmeidigen, lautlosen Schritten vor ihm her. Der grasbewachsene Boden federte unter ihren Füßen und auf den Ästen saßen wie schwarze Kugeln schlafende Vögel. Ein Fuchs glitt wie ein kupferner Schatten über das Moos. Später jagte ein Reh mit weichen, geräuschlosen Sprüngen den Hang hinauf und eine Eule schwang sich lautlos aus dem Dickicht empor. Überall hörte und spürte man die Tiere in ihrer ungezwungenen Natürlichkeit leben. Es war, als ob sie die beiden Menschen als Wesen betrachteten, die ebenso vertraut mit den Geheimnissen der Natur waren wie sie selbst. Susanoo fragte sich, ob Kubichi, die mit ihren kleinen, nackten Füßen den Boden kaum zu berühren schien, diesen Zauber auslöste.
    Plötzlich blieb sie stehen. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ihre Stimme klang ernst. »Es ist besser, wenn du dich deiner Waffen entledigst.«
    Er ließ Bogen und Köcher von seiner Schulter gleiten und hängte sie an einen Baum. Nachdem er sich die Stelle eingeprägt hatte, folgte er wieder dem Ainu-Mädchen. Der Pfad stieg ständig an. Als er in einer Waldlichtung den Blick hob, sah er am schwarzen Himmel die Sterne wie weiß glühende Kohlen leuchten; ihr Schimmer ließ die Umrisse der Felsen, die den Sockel des Berges bildeten, deutlich hervortreten. Fichten und Tannen hoben sich gegen den Nachthimmel ab. Es wurde immer dunkler. Susanoo hatte das Gefühl, durch einen schwarzen Abgrund zu wandern. Kubichi schritt ohne zu zögern vorwärts; sie bewegte sich in der Finsternis so sicher und behände wie am helllichten Tag.
    Sie musste spüren, dass er ihr kaum folgen konnte, denn sie wandte sich um und nahm seine Hand. Er sah den weißen Schimmer ihrer Augen. Ihre Finger waren warm und zitterten leicht in seiner Hand; er musste an einen gefangenen Vogel denken. Sie führte ihn an einer Schlucht vorbei, die wie ein stockfinsterer Spalt im Erdboden klaffte, bahnte ihm einen Weg durch ein Dickicht, das undurchdringlich schien. Hier und da hielt sie an, sog die Luft ein und lauschte. Unerwartet blieb sie stehen. Sie horchte aufmerksam einige Atemzüge lang, stellte die Windrichtung fest und flüsterte ihm zu: »Warte hier, aber rühr dich nicht! Geh erst weiter, wenn ich dich rufe!«
    Sie ließ seine Hand los, tauchte in den Schatten der Tannen und wurde augenblicklich von der Finsternis verschluckt. Er stand allein in einem Labyrinth aus Zweigen und Gestrüpp und spürte, wie seine Handflächen schwitzten. Einige Augenblicke vergingen. Er lauschte verstört seinen eigenen Atemzügen. Mit einem Mal knackte vor ihm das Unterholz. Eine gewaltige Masse, schwärzer als die Nacht, kam aus dem Dickicht hervor. Scharfer, beißender Geruch schlug ihm entgegen. Unwillkürlich wich er zurück. Seine Hand wollte nach Pfeil und Bogen greifen, doch er erinnerte sich zugleich, dass er unbewaffnet war …
    Der Bär wiegte sich schwerfällig hin und her und knurrte drohend. Susanoo stand wie versteinert. Eine seltsame Erstarrung lähmte seine Gedanken … und mit einem Mal sah er Kubichi. Sie lehnte sich gegen die breite Schulter des Tieres. Eine ihrer Hände wühlte in seinem struppigen
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