Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Fell. Lautlos, geschmeidig richtete der Bär sich auf. Er öffnete den Rachen; die Reißzähne blitzten wie scharfe Klingen. Kubichi glitt blitzschnell unter der Vordertatze hindurch, stemmte sich gegen die Brust des Tieres. Leise sprach sie zu ihm in einem liebevollen Singsang. Das Knurren verstummte nach und nach. Die Vordertatzen des Bären senkten sich langsam wieder auf den Boden. Kubichi umfasste seine Schultern. Sie griff in sein dickes Fell und zauste ihn. Dann strich sie ihm mit der Fingerspitze leicht und zärtlich über die Stirn zwischen den Augen. Der Bär senkte den Kopf.
    Â»Komm jetzt näher«, sagte Kubichi mit heller, sorgloser Stimme.
    Susanoo presste die Kiefer zusammen und machte ein paar Schritte vorwärts. Der Bär krümmte misstrauisch den Rücken; seine Tatzen scharrten angriffslustig auf dem Boden. Seine Nase war feucht und die perlschwarzen Augen funkelten im Sternenlicht. Ein ätzender Gestank ging von ihm aus.
    Â»Gib mir deine Hand«, sagte Kubichi.
    Er streckte sie ihr hin. Sie legte sie an den Hals des Bären, genau auf den weißen Fellkranz. Und während er seine Finger in das warme, stinkende Fell grub, redete Kubichi unentwegt mit der gleichen ruhigen und singenden Stimme in einer unbekannten Sprache auf das Tier ein.
    Dann sagte sie: »Streiche ihm über die Brust!«
    Auch das tat er. Der Bär bewegte den Kopf hin und her: Die Liebkosung schien ihm zu gefallen. Susanoo spürte unter seiner Hand die harten Muskelstränge. Mit einem Mal richtete sich der Bär halb auf, setzte sich auf die Hinterbeine wie ein zutraulicher Hund. Er schien gutmütig zu blinzeln. Susanoo blickte auf die gewaltigen Vordertatzen, die spielerisch ihre Krallen ausstreckten und einzogen. Das Angstgefühl wich langsam; irgendwie spürte er, dass seine wiedergewonnene Ruhe sich auch auf das Tier übertrug. Der Bär, der jede seiner Bewegungen aufmerksam verfolgte, schloss jetzt halb die Augen, kreuzte seine mächtigen Vorderpranken und blieb unbeweglich sitzen. Ein behagliches Brummen drang aus seiner Kehle.
    Kubichi ließ ein zufriedenes Lachen hören. »Jetzt kennt er dich … und er wird es den anderen mitteilen!«
    Sie stieß einen kleinen, schrillen Pfiff aus. Augenblicklich fiel der Bär auf seine Tatzen zurück und verschwand lautlos in der Nacht. Kubichis silberhelles Lachen ertönte in der Dunkelheit. »Komm … jetzt hast du nichts mehr zu befürchten!«
    Sie ergriff seine Hand und er folgte ihr schweigend. Es war nicht mehr die Angst, die sein Herz schneller schlagen ließ, sondern die überwältigende Erkenntnis, dass er durch Kubichis Vermittlung die überlieferten Schranken durchbrochen hatte. Das uralte Gesetz, das den Menschen zum Herrscher über das Tier erhebt, hatte hier seine Gültigkeit verloren: Beide befanden sich Seite an Seite als ein Teil der unendlichen Schöpfung.
    Die Tannen lichteten sich; das Moos verlor sich unter ihren Füßen. Sie stiegen über schwarze, fast spiegelglatte Basaltblöcke. Die Nacht war wie kaltes, dunkles Wasser und der Silberstrom der Milchstraße schwang sich über die ganze Breite des Himmels. Plötzlich flackerte rötliches Licht durch die Finsternis. Es kam von einem Feuer, das unter einem Felsvorsprung brannte. Hinter dem Feuer kauerte eine Gestalt, die sich jetzt langsam aufrichtete. Es war eine alte Frau; sie trug ein grob gewebtes weißes Gewand. Der Wind spielte in ihrem grauen Haar, das über ihre Schultern herabfiel. Das abgezehrte, blutleere Gesicht schien kaum noch fähig, eine Gefühlsregung auszudrücken, dennoch war es eigenartig schön: Die rissige Haut spannte sich wie eine Ledermaske über die edel geformten Knochen. Die gleiche Tätowierung, die auch Kubichi trug, verlängerte die Augen bis zu den Schläfen, doch die Lider hatten den schillernden Glanz verloren und glichen den verblichenen Flügeln eines Nachtfalters.
    Kubichi grüßte ehrfurchtsvoll, indem sie ihre Hand zuerst an die Stirn, dann an ihr Herz legte. Die Frau erwiderte ihren Gruß. Dann richtete sie die Augen auf Susanoo; ihm war, als dringe der ruhige, kühle Blick bis in die Tiefe seiner Seele. Die Stimme, die er jetzt hörte, war dunkel und rau wie das Echo einer bronzenen Tempelglocke.
    Â»Ich bin Emekka, die Hüterin dieses Berges. Friede sei mit dir, König von Izumo. Tritt näher an das Feuer heran, denn die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher