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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren
Autoren: Federica de Cesco
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Nacht ist kalt.«
    Susanoo verbarg sein Erstaunen. Er dankte der Frau, ließ sich an der Feuerstelle nieder und hielt die Hände über die wärmende Holzkohle. Emekka zog ein Tuch über ihre knochigen Arme und hustete. Sie hockte sich auf die Steine, warf eine Handvoll Reisig in das Feuer und schürte die Glut.
    Plötzlich trug der Wind Susanoo wieder die scharfe Ausdünstung zu. Er zwang sich, unbeweglich sitzen zu bleiben, und heftete den Blick auf den Bären, der langsam aus der Finsternis kam. Das Tier hatte noch nicht seine volle Größe erreicht und brummte leise. Sein Fell schimmerte rötlich im Feuerschein und seine Tatzen federten auf dem Boden. Emekka stieß einen zischenden Laut aus. Der Bär wich Schritt für Schritt zurück und verschwand hinter einem Felsen.
    Â»Sie haben ihre Schlupfwinkel«, sagte Emekka gleichmütig. »Bald werden sie ihren Winterschlaf antreten.«
    Susanoo holte tief Atem. »Woher weißt du, wer ich bin?«
    Die Frau hantierte gelassen mit einigen Geräten. »Heute Nacht, als der Nordstern über dem Gipfel stand, befragte ich Kubichis Geist. Und Kubichi gab mir Antwort. Ich weiß auch, mit welcher Absicht du gekommen bist.«
    Â»Ich nehme die Verpflichtung auf mich«, sagte Susanoo, »und stehe mit ganzem Herzen für sie ein.«
    Die Priesterin sah ihm voll ins Gesicht. »Ich glaube dir. Dein Wille und deine Seele sind stark. Aber es gibt Dinge, die schwer zu begreifen sind für Menschen, die nicht in diesem Glauben geboren wurden. Wirst du die Kraft haben, den Göttern ins Angesicht zu schauen?«
    Â»Ja«, sagte Susanoo schlicht.
    Die dunklen, glanzlosen Pupillen ließen nicht von ihm ab. »Wir sind ein altes Volk«, sagte sie. »Vielleicht das älteste Volk der Erde. Wir leben nach der Schöpfungsordnung einer versunkenen Welt, von der sich der Mensch in den Jahrtausenden seiner Entwicklung gelöst hat. Würdest du bereit sein, dich dieser Ordnung zu unterwerfen?«
    Â»Ja«, wiederholte er.
    Sie wiegte sich leicht in den Knien und begann, in merkwürdigem Rhythmus ein Gedicht aufzusagen:
    Â»Zu Beginn der Zeiten
Gab es keinen Unterschied
Zwischen Mensch und Tier.
Alle Kreaturen lebten auf Erden.
Ein Mensch konnte sich in ein Tier verwandeln,
Wenn er es wünschte.
Und ein Tier konnte zu einem Menschen werden.
Es gab keinen Unterschied.
Alle sprachen die gleiche Sprache.
Denn die Worte waren magisch,
Der Geist besaß die Kräfte des Alls,
Und die Worte wurden lebendig …«
    Die alte Frau verstummte so plötzlich, dass Susanoo eine schmerzliche, fast unerträgliche Leere verspürte. Emekka sah regungslos in die Glut.
    Â»Diese Worte«, fragte er, »woher kennst du sie?«
    Â»Ich entnahm sie für dich der Sprache unseres Volkes.« Sie warf ihm einen eigenartigen Blick zu. Ihre Lider bebten wie Nachtfalter im Licht. Dann sprach sie: »Einst hast du ein Tier für deine Zwecke missbraucht und es aus Rache getötet.«
    Â»Ja«, sagte er ruhig. »Ich trage den Fluch auf meinem Gesicht.«
    Â»Dennoch«, fuhr sie fort, »hat dir die Gottheit verziehen, denn du bist im Besitz der heiligen ›Tama-Steine‹, des Symbols des Paktes mit dem Tierreich.«
    Er starrte sie an. Woher nahm sie wohl ihr Wissen? Sie schien sein Erstaunen zu spüren, denn sie lächelte rätselhaft. Dann füllte sie dampfenden Gerstenbrei in zwei Kürbisschalen und reichte sie ihren Gästen. Sie aßen schweigend und tranken Quellwasser dazu. Dann nahm Emekka die Gefäße wieder zurück und spülte sie mit klarem Wasser. Als sie fertig war, erhob sie sich mit leichter, federnder Bewegung. »Bist du bereit?«, fragte sie Susanoo.
    Â»Ja.«
    Â»Dann komm!«
    Er folgte der Alten und fühlte die Kälte auf seiner Haut, als sie die Feuerstelle verließen. Er sah einen anderen Bären, der zusammengerollt in einer Felsnische lag, doch es gelang ihm, ohne zu zögern daran vorbeizugehen. Die Frau hielt den Rücken gebeugt und sie setzte ihre Füße leicht einwärts. Ihr Gang war völlig geräuschlos. Sie schritten über den Basalthang, der in sanfter Wölbung zum Gipfel führte. Kein Baum wuchs hier, kein Strauch. Susanoo hatte das Gefühl, in einem riesigen schwarzen Raum zu wandern, dessen Wände der Himmel selbst war und dessen Decke bis zu den glitzernden Sternen emporstieg.
    Plötzlich blieb er
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