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Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eintraten, hielt William Rockwell den Bären immer noch fest. Er war erfüllt von der Aufgabe, dem zotteligen, dreckigen Gesellen hier Freund und Beschützer zu sein.
    »Nanu«, sagte einer, »guckt euch Rockwell an. Der Junge hat 'nen Teddy auf dem Schoß!«
    Ein anderer frotzelte: »'n Mädchen wär' mir lieber.«
    »Verpfeift euch«, sagte William und lachte, während das Bärchen ein mürrisches Kindergesicht aufsetzte. »Ich mache ihm jetzt sein Halsband um, und er schläft diese Nacht hier. Basta. Morgen sehen wir weiter!«
    »Ist ja gut, Junge«, lachten die anderen. »Wir wollen deinem Bären doch gar nichts tun. Bloß gut, daß er nicht zu den Krauts übergelaufen ist! Die hätten bestimmt Bärenbraten aus ihm gemacht!«
    Der Bär gab ein Geräusch zwischen Husten und Fiepen von sich.
    William sagte stolz: »Seid gefälligst vorsichtig. Er versteht alles!« Dann streifte er dem Bären das Halsband über, und diesmal ließ das Tier es sich widerstandslos gefallen. Hier war sein Freund. Der meinte es gut mit ihm. Großen Freunden mußte man gehorchen, wie man seiner Mutter gehorcht hätte.
    Der Bär schlief gut. Er brummelte manchmal ein bißchen, träumte wohl von etwas, das seine Ahnen ihm mitgegeben hatten, oder auch von eigenen Erlebnissen, denn für sein Alter hatte er ja viel mitgemacht.
    Am nächsten Vormittag steckten Kameraden vom Stab den Männern der 3. Kompanie telefonisch, daß der Adjutant von Oberst Perkins zu einer ›Inspektion‹ aufgebrochen war. Ziel: die 3. Kompanie.
    Also begann William Rockwell sofort, den Bären in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen, soweit das möglich war.
    Es regnete nicht mehr. Die Nacht war bereits trocken gewesen. Jetzt jagten nur gelegentlich dicke Wolkenkissen über einen makellos blanken Himmel. Die Sonne brannte geradezu durch die vom Regen gereinigte Luft. Es stank, wie immer. Es stank faulig, nach Brand und Exkrementen, auch nach Ammoniak wie manchmal in der Nähe eines Gaswerks. Der Boden war getränkt mit den Gasen der Geschosse, verwesenden Essensresten, den Ausdünstungen der Toten, die hastig hatten beerdigt werden müssen, und dem sumpfigen Atem der sterbenden Pflanzen. Die Sonne zog den Gestank aus dem nassen Boden hoch, hüllte ihn in Feuchtigkeit ein und schickte ihn warm und betäubend eklig in die Nasen.
    Arthur Shenessy, der Spinner, betrachtete den Bären böse durch seine Nickelbrille. »Er stinkt«, behauptete er.
    »Du stinkst auch!« konterte William böse.
    Sofort fielen auch die anderen über Shenessy her: Er solle sich lieber mit seinen Geistern und Gespenstern beschäftigen als mit einem netten Bären. Wer kein Tierfreund sei, habe keinen guten Charakter.
    »Als ich ein Kind war, kam ein Bärenführer mit einem großen braunen Tanzbären in unser Dorf«, sagte Arthur Shenessy, »ein possierliches Tier. Ein Mädchen schlug das Tamburin, und er tanzte, stand auf den Hinterbeinen und tanzte. Wir waren begeistert. Ein Junge muß ihn von hinten mit dem Flitzbogen angeschossen haben, das konnten wir uns aber erst hinterher zusammenreimen. Jedenfalls wurde der Bär wild und ging auf die Zuschauer los, und der Mann konnte ihn nicht zurückhalten, obwohl er die Kette nicht losließ. Ihr habt doch keine Ahnung, wie kräftig so ein Bär ist.« Er blickte in eine Ferne, in der seine Kindheit lag, und stöhnte auf. »Er schlug einmal zu. Nur einmal. Und er traf meinen kleinen Vetter. Vom Hals über die Schulter hinunter bis zur Hüfte war Robert nur noch ein blutiger Brei. Er hat für immer schwere Narben und einen bleibenden Schock behalten.«
    »Aber dieser Bär ist doch ganz klein«, gab William zu bedenken. Shenessy tat ihm leid mit seiner schrecklichen Erinnerung, doch war es wohl zimperlich und auch ungerecht, sie dem Kleinen hier anzulasten. Jeder hatte schreckliche Erinnerungen genug. Jeden Tag wurden es mehr, verdammt nochmal!
    »Ich verlange, daß der Bär wegkommt«, beharrte Shenessy eigensinnig.
    Etienne Guide, Milchmann und Amateurringer in Montreal, zeigte Shenessy drohend seine Bizepse und sagte sanft, sie würden eben demokratisch über den Verbleib des Bären abstimmen. Doch sie alle hatten die Rechnung ohne ›Adju‹ John Clark gemacht.
    Er trudelte zusammen mit zwei Mannschaftsgraden ein und tat so, als wolle er die Stellungen besichtigen. Schneidig schlängelte er sich durch die kunstvoll verwinkelten Gänge zwischen dem Drahtverhau, ging mutig ein Stück aufrecht am Graben entlang, den Oberkörper als Ziel darbietend,
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