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Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Pferden oder Hunden, die doch mit Menschen aufwuchsen, konnte man die Angst vor dem Knallen nur äußerlich abdressieren. Im Grunde verging sie nie.
    Nun standen also die erwachsenen Männer im Unterstand um den Bären herum und machten sich Gedanken. Wie zahm oder wie gefährlich war zum Beispiel so ein Brummi in diesem zarten Alter? Ließ man ihn herumlaufen wie ein Hündchen, oder legte man ihn besser an die Leine?
    Arthur Shenessy, der Spinner vom Dienst, der im Privatleben okkultistische Bücher schrieb, verlangte energisch, das Tier müsse festgemacht werden, schließlich sei ein Bär ein Raubtier, und ein kleiner Bär bleibe immer auch ein kleines Raubtier, und der Bursche sehe schließlich recht kräftig aus.
    Also nahm Rockwell seufzend seinen Schulterriemen und bastelte daraus eine Art Leine zurecht. Der Bär von St. Jules allerdings zeigte sich höchst ungehalten über diese Idee. Er schüttelte sich und brummte, als Rockwell ihm das provisorische Halsband überstreifen wollte. Doch dann spielte das alles plötzlich keine Rolle mehr.
    Bereits in den Vormittagsstunden hatten sie ein feindliches Flugzeug beobachtet, das ihre Stellungen überflog. Ein einmotoriger Doppeldecker. Ein Aufklärer, flink wie eine Mücke. Bestimmt hatte der Pilot saubere Fotos der Stellungen geschossen. Es lag wieder Blei in der Luft.
    Doch was sich jetzt, gegen halb elf, tat, war schrecklich und vertraut zugleich, ein vorbeugendes Unternehmen der eigenen Artillerie, ein Flammen, Flackern, Heulen, Dröhnen, Bersten und Krachen. Über ihren Unterstand hinweg pfiffen die eigenen Geschosse, ein wüstes Gewitter ging nieder auf Stellungen und Anmarschwege der Deutschen. Die Nachschublinien mußten gekappt werden. Das war ungeheuer wichtig. Die Deutschen hungerten bereits. Jedes gefallene Pferd wurde unter Lebensgefahr zerstückelt und hinter die Linien geschleppt als Kraftnahrung. Nicht einmal Hunde sollten vor ihrem Hunger sicher sein.
    Die Soldaten im Unterstand saßen ganz still. Sie wirkten versteinert. Eisige Kälte breitete sich in ihnen aus, legte Gefühl und Sehnsucht und sogar Angst lahm, kroch das Rückgrat hinunter, ließ sie die Augen heben, die nichts sahen. Sie saßen da in der stickigen, verbrauchten, verrauchten Luft, hinter der sorgfältig geschlossenen Zeltplane, die keinen Schimmer der blechernen Stearinpatrone nach außen dringen ließ, die auf einer Kiste rußte und flackerte. Hockten da auf Brettern unter der Erde, die Waffen griffbereit, zwischen nassem Lehm, Balken und Draht. Rauchten gewohnheitsmäßig. Einer betete leise.
    Die eigene Artillerie schoß, doch die feindlichen Gräben lagen nur etwa zweihundert Meter entfernt. Niemand war unfehlbar. Oft waren die Geschoßwinkel zu kurz berechnet, dann kamen die eigenen Leute unversehens ins Feuer.
    Als der erste Sturm vorüber war, verließen einige Männer den Unterstand und gesellten sich zu jenen im Graben. Das Mausefallengefühl war dort weniger ausgeprägt. Gräben und Unterstände waren schließlich zwar gleichermaßen sicher gegen die Splitter der Schrapnells, doch boten sie ebenso gleichermaßen keinerlei Schutz gegen wirkliche Treffer. Und vorn war etwas zu tun!
    Denn nun legten die Krauts los mit ihrem Sperrfeuer! Geschosse orgelten in die andere Richtung. Emsig wurden am Aufblitzen der Mündungsfeuer die genauen Stellungen der feindlichen Geschütze errechnet. Zahlen schwirrten durch die Luft, das Ritual der militärischen Ausbildung, das in solchen Momenten Halt vermittelt, lief ab.
    Rockwell war im Unterstand geblieben. Seine Wachzeit war um. Er hatte den kleinen Bären prüfend angeschaut und gesehen, daß er sich unendlich ängstigte. Diese Art von Krach und das Gefühl, in einem Käfig zu sein, lösten in dem Kleinen Erinnerungen aus. Die blanke Angst, ganz mutterseelenallein der Welt trotzen zu müssen, ließ ihn nach einem Ausweg oder einem Schutz suchen. Er zog sich weiter zurück und wiegte den Kopf hin und her. William Rockwell meinte in den Tieraugen den fast menschlichen Ausdruck von Not zu erkennen.
    Und dann spürte der kleine Bär plötzlich Wärme und Schutz. William Rockwell war zu ihm hingeglitten und hatte die Arme um ihn gelegt. Das mutterlose Kind schmiegte sich hinein. Mitten im Geheul und Gedröhn der Geschosse breitete sich in dem Bären die wundervolle Gewißheit aus, daß jemand da war, zu dem er gehörte. Er hatte wieder eine Heimat. Einen Beschützer. Eine Mutterfigur.
    Als der Spuk vorbei war und die Kameraden wieder
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