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Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären
Autoren: Heinz G. Konsalik
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niemand etwas haben«, entschied er, »auch nicht der Bär von St. Jules.«
    Wie stets an der Front, wo aus männlichen Exerziermaschinen unweigerlich selbstverantwortliche Kämpfer werden mußten, war das strenge militärische Reglement gelockert. Vorgesetzte und niedere Dienstgrade gingen, dem Tod gemeinsam so nahe, lässiger miteinander um. Aber natürlich mußte die Form gewahrt bleiben. Disziplin war unerläßlich. Kühne Alleingänge konnten streng bestraft werden.
    So durfte die 3. Kompanie des 159. Infanterieregiments von Ontario auch nicht einfach einen jungen Bären adoptieren, und außerdem mußte nun ja, wohl oder übel, das etwas peinliche Ergebnis des Rockwellschen Alarms samt tapferem Spähtrupp gemeldet werden.
    Leutnant Powell reckte sich also um drei Zentimeter, pumpte den Brustkorb auf, runzelte die Stirn und ließ sich mit dem Regimentsgefechtsstand verbinden.
    Clark, der Adjutant des Kommandeurs, versuchte abzuwiegeln wie eine tüchtige Sekretärin. Er werde Oberst Perkins, der im Moment verhindert sei, die Nachricht übermitteln, versprach er. Powell jedoch beharrte darauf, den Oberst persönlich zu sprechen. Es sei sowohl dringend als auch wichtig, erklärte er mit schneidend hoher Stimme.
    Oberst Perkins, den alle hinter seinem Rücken ›Luckie‹ nannten, obwohl er mit Vornamen Jack hieß, kam tatsächlich ans Feldtelefon.
    Die Meldung ging streng militärisch vor sich: »Leutnant Powell, Sir! Die neue deutsche Waffe, zunächst als fahrbare Mine angesprochen, entpuppte sich bei unserem Stoßtruppunternehmen aus der Nähe als Braunbär, männlich, etwa sechs bis acht Monate alt, schätzungsweise. Das Tier befindet sich als Gefangener bei der dritten Kompanie. Leutnant Powell bittet gehorsamst, das Tier, genannt ›Bär von St. Jules‹, der dritten Kompanie als Maskottchen zu überlassen. Die Ernährung des Bären aus Armeebeständen ist sichergestellt. Der befohlene Alarm wurde zurückgenommen. Die Front ist ruhig. Im Abschnitt nichts Neues!«
    Oberst Perkins' irische Vorfahren, ausnahmslos Käuze und Eigenbrötler, stimmten im Himmel ein großes Gelächter an. Einige auch in der Hölle. Perkins' Zwerchfell begann angenehm zu kribbeln. Er bemühte sich jedoch um einen seriösen Tonfall. »Der Bär von St. Jules bleibt für die Nacht im Gewahrsam der dritten Kompanie. Ich mache Sie dafür haftbar, daß der Gefangene nicht flüchtet«, bellte er. »Morgen wird über das weitere Schicksal des besagten Gefangenen entschieden werden.«
    »Jawohl, Herr Oberst!«
    Es kam noch ein Nachsatz, jetzt mit vertraulicher Offizierscasino-Note: »Was frißt er denn gern, Powell?«
    Die Antwort erfolgte prompt: »Pfirsiche … Jedenfalls die von Goudben und Co., Sir.«
    Die 3. Kompanie hatte es schon lange gefuchst, daß andere Regimenter Ziegenböcke als Maskottchen hatten, die sogar befördert wurden und eine Art Uniform mit Litzen tragen durften. Ein Regiment hatte ein rosa-schwarz gemustertes Schwein gehabt, ein anderes gar einen Adler mit eigens für ihn abgestelltem Pfleger. Natürlich, jetzt war Krieg. Der hatte ernstere Gesetze. Und doch: Der Gedanke, daß sie von einem leibhaftigen Bären begleitet wurden, war überaus verlockend. Außerdem war es schon ein Wunder, daß der kleine Geselle durch die Linien gerollt war, dem Feuer und der Vernichtung entkommen konnte, Fressen gefunden hatte, wo eigentlich nichts mehr war. So ein Wunder setzte man nicht wieder an die Luft! Sie waren gerührt – diese arglose Kreatur inmitten der unmenschlichen Kriegsmaschinerie hatte etwas Ergreifendes für sie. Wie sich das Herz eines Strafgefangenen einer winzigen Maus zuwenden mochte, die in seine Zelle schlüpfte, so neigte sich hier belustigte Zärtlichkeit dem Bärenkind zu.
    Dabei war allen auch der Haken an der Sache klar. Wenn es als Maskottchen anerkannt wurde, so gehörte es offiziell zum Regimentsgefechtsstand und nicht in den Graben der 3. Kompanie.
    »Luckie hat gesagt, morgen werde über sein Schicksal entschieden.« Die Nachricht machte die Runde.
    Vorerst wurde der Kleine mit Büchsenfleisch und Kartoffeln gefüttert, bekam auch ein kleines Pfirsichdessert und sogar einen Nachschlag davon.
    Der Bär wirkte etwas verbiestert wegen der vielen Leute, im ganzen jedoch nicht unzufrieden. Sicher hatte er unter seiner Einsamkeit gelitten. Was wußte man schon, was in einem Tierkind vorging? Jedenfalls mußte es sich gefürchtet haben unter dem Beschuß, weil Tiere einen Instinkt für Gefahr hatten. Selbst
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