Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Nein, ein Schwert! Ein ungeheures, ein furchtbares Schwert, wie es niemals jemand auf dieser Welt zu schmieden gewagt hatte.
    In mir war ein krampfhaftes Zucken. Schlagartig erlosch das Bild und ich hörte mich schreien. Wie ein Echo antwortete ein anderer Schrei, ausgestoßen aus Hunderten von Kehlen! Ich kam wieder zu mir, erschöpft, schweißgebadet. Meine Ohren gellten von einem furchterregenden Geheul, das grell, wild und höhnisch auf und ab tönte. Es klang wie das Kreischen entfesselter Dämonen. Ich fühlte mich benommen und elend, unfähig, mich zu bewegen oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.
    Die gefasste Stimme Kuchikos riss mich aus meiner Betäubung:
    Â»Es ist besser, dem Gebrüll keine Beachtung zu schenken. Wir kennen dessen Zweck ohnehin.«
    Ich holte tief Luft. Meine gespannten Muskeln lockerten sich und ich fühlte mich wohler. Mir kamen Berichte von Reisenden und Soldaten in den Sinn. Das zermürbende Kriegsgeschrei der Sperbermenschen diente lediglich dazu, ihre Gegner zu erschrecken. Ich schämte mich meiner Schwäche, deren Zeuge Kuchiko geworden war, und umklammerte heftig meinen Bogen, als eine erregte Stimme rief: »Schaut! Dort unten!«
    Wir beugten uns zwischen den Zinnen vor. Weit draußen in der Bucht, über den silberweißen Wellenkronen, leuchtete ein rötlicher, gespenstischer Lichtschein auf. In dem zuckenden Schimmer hoben sich die Umrisse der Inseln deutlich in der Finsternis ab. Es mussten unzählige Fackeln sein, die dort zwischen den Bäumen glühten! Ob die Sperbermenschen die Inseln in Brand setzen wollten? Das konnte nicht sein, weil sie sich sonst selbst den Rückzug abschnitten.
    Meine Mutter hatte das Schwert gegürtet. Sie erhob sich, ohne dass ihr die Hand gereicht wurde, weil es verboten war, sie zu berühren. Sie näherte sich mit leichtem, federndem Schritt, schaute aufmerksam in die Nacht hinaus. Dann lachte sie kurz und spöttisch auf.
    Â»Nun also, sie werden den Fischen als Nahrung dienen!«
    Sie wandte sich an den Befehlshaber ihrer Leibwächter, immer noch mit diesem unergründlichen Lächeln auf ihren Zügen: »Folgt mir!«
    Sie schritt die Treppe hinunter. Ihr Schatten glitt über die Mauern. Vor dem Tor wartete eine geschlossene Sänfte, die meine Mutter bestieg. Mit einer Handbewegung gebot sie mir, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Im nächsten Augenblick waren unsere Gesichter hinter dem rohrgeflochtenen Gitter des kleinen Fensters verborgen. Schon hoben die Träger die Stangen und setzten sich in Bewegung. Wachen, mit Speeren bewaffnet, liefen neben den Sänften her. Kuchiko folgte in einer zweiten Sänfte. Die Hände meiner Mutter ruhten auf ihrem Schwert. Ich konnte ihr Profil in der Dunkelheit kaum erkennen. Mein Atem ging schwer, zusammenhanglose Satzfetzen, Bilder eher, streiften meine Gedanken: Du warst stark wie ein Adler, frei wie die Wolken, ungestüm wie ein Gebirgsbach. Dein Haar flatterte wie ein düsteres Banner … Ich fror und doch brach mir der Schweiß aus. … Himmel und Erde gehören zusammen wie Schwert und Scheide. Alles hat seinen Sinn, hier unten wie auch anderswo. Was ist aus dir geworden? Ein Wahnsinniger, Anführer einer Bande von blutrünstigen Plünderern? Ein Eingeweihter, vor dem sich geheime Türen auftun? Wie werde ich dich wiedererkennen?
    Die Hand meiner Mutter berührte mich. Die Gebärde war nur flüchtig, doch ich zuckte zusammen. »Du wirst ihn wiedererkennen«, sagte sie.
    Sie hatte in meinen Gedanken gelesen; dies war nichts Ungewöhnliches. Doch ich erschrak, weil ich ihre Missbilligung spürte. Meine Wangen wurden heiß. Ich stammelte:
    Â»Des Schwertes wegen?«
    Sie blieb regungslos. Einzig ihre Augen blitzten. »Nicht nur des Schwertes wegen«, entgegnete sie leise.
    Nach dem Ausfalltor kamen die Sänften nur langsam voran. Bewaffnete Menschen drängten sich zu beiden Seiten der Straße. Viele Leute warfen sich nieder, berührten mit der Stirn den Boden. Die Schläge auf die Ambosse hallten mit verstärkter Kraft und die Krieger klopften als Antwort darauf rasch und erregt gegen ihre Schilde. Waren die Sänften vorbeigetragen, schlossen sich die Menschen dem Zug an, sodass die Menge immer dichter wurde. Als die Sänften den Strand erreichten, verstummte das Hämmern der Schmiede. Eine seltsame Ruhe trat ein. Nur das ferne Tosen der Brandung war zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher