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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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Flüsse austrockneten. Den Hunger, als die Lava der Vulkane deine Felder verwüstete. Den Krieg, als der Feind deine Grenzen bedrohte. Immer bist du siegreich aus dem Unglück hervorgegangen. Heute Nacht wird der Angreifer in der Dunkelheit vorrücken. Der Kampf wird erbarmungslos sein, denn der Feind will die Stadt erobern und kein Leben verschonen.«
    Im Hof war jeder Laut verstummt. Die Worte der Königin drangen in alle Herzen. Jene, die sie niemals gesehen hatten, mochten erstaunt sein, dass nicht eine Priesterin, sondern eine Kriegerin sprach.
    Â»Höre weiter, Volk! Ich gebe dir ein Versprechen: Ich werde in dieser Nacht mit dir sein und Amôda verteidigen, auch wenn der Feind auf mein eigenes Herz zielt.«
    Die Menge bewegte sich. Man scharrte mit den Füßen, tauschte Blicke. Ein Name lag allen auf der Zunge. Doch niemand durfte ihn aussprechen. Und als mein Blick den meines Onkels streifte, sah ich das spöttische Aufblitzen seiner Augen. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich drehte, wie zufällig, das Gesicht zur Seite. Doch die Königin sprach weiter, gleichmütig und klar, als sei jedes Wort eine Münze, die sie uns vorzählte.
    Â»Volk von Yamatai! Vernichte den Feind, wo auch immer er sich zeigt. Verhindere sein Vordringen, sei ohne Erbarmen. Den Anführer aber sollst du lebend ergreifen. Dies wird ein großes Wagnis sein, denn er bedient sich einer mächtigen Zauberkraft.« Mit steinernem Gesicht hielt sie inne; und wer nicht ihr Geheimnis kannte, mochte denken, dass sie zögerte. Schon straffte sie ihr Rückgrat. Ihre Stimme, zurückgeworfen von einer Mauer zur anderen, klang plötzlich schrill wie der Ruf der Hähne, wenn die Dunkelheit weicht und die Sonne leuchtet.
    Â»Volk von Yamatai! Höre und vergesse es nicht: Gelingt es dir, ihn zu entwaffnen, ist er verwundbar, wie alle Menschen es sind. Und dann beschwere seine Hände mit Ketten und bringe ihn zu mir!«

4
    I ch fuhr mit dem Daumen über die biegsame Bogensehne. Die Waffe erwiderte meine Berührung mit dumpfem Erzittern. Auf sein Schwert gestützt, nickte mir Kuchiko, der Befehlshaber der Garde, aufmunternd zu. Er war ein Meister in der Kunst des Bogenschießens und hatte mich viele Jahre lang unterrichtet. Ich hatte eine harte Ausbildung durchgemacht, und wenn es mir auch oft nicht leichtgefallen war, mich einzufügen, lernte ich doch allmählich einzusehen, wie viel ich ihm zu verdanken hatte.
    Kuchiko war ein hochgewachsener, schweigsamer Mann, dessen gewöhnlich väterlicher und heiterer Blick plötzlich in eisige Kühnheit umschlagen konnte. Beim Schein der Fackeln erschien mir sein stolzes Antlitz müde, und ich dachte traurig, dass er alt wurde.
    Das Warten hatte begonnen. Wie das Klopfen eines stetigen Herzens füllte ein regelmäßiges, klingendes Hämmern die Stille. Es waren die Schmiede, die mit Schwertern und Speeren auf die Ambosse schlugen, um den Feind zu verhöhnen. Obwohl ich innerlich glühte, spürte ich die Kälte auf meiner Haut und fröstelte. Wenn es keine Angst war, was war es dann? Die Worte meiner Mutter, vielleicht …
    Ich blickte zur Königin hinüber, die mit untergeschlagenen Beinen auf einer Binsenmatte saß. Sie hatte das Schwert vor sich auf ein Kissen niedergelegt. Unter ihrem Umhang aus schwerer Seide glänzte ihre Rüstung wie ein Bienenpanzer. Sie saß regungslos da, mit aufrechtem Körper und unbewegtem Gesicht. Ihr starrer Blick schien nach innen gerichtet.
    Die Zeit verstrich. Die Sterne am Himmel zogen langsam ihre Bahn. Die Fackeln brannten nieder und qualmten stark. Soldaten schritten auf den Wällen auf und ab. Manchmal ertönte ein Befehl aus der Dunkelheit.
    Die Kälte nahm zu, ich wickelte mich fester in meinen Umhang. Die Worte meiner Mutter gingen mir nicht aus dem Kopf: »Der Anführer bedient sich einer mächtigen Zauberkraft.«
    Der eisige Wind fegte um die Ecktürme. Das Hämmern der Ambosse schien in meinen Schläfen zu dröhnen. Ich drückte meine Faust gegen die Stirn, schloss die Augen. Was für eine Zauberkraft?
    Das Hämmern verstummte. Mein Geist wurde leicht und leer wie eine Luftblase. Und in dieser Leere vernahm ich mit seltsamer Deutlichkeit Kuchikos Stimme. Er sagte nur ein einziges Wort: »Jetzt!«
    Ein Bild tauchte vor meinen Augen auf, flimmerte, zuckte, nahm Gestalt an. Was war das? Ein Zweig? … Eine Schlange? …
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