Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens
Autoren: Courtney Milan
Vom Netzwerk:
beherrschen. Lady Kathleen Carhart hätte den Fuhrmann mit scharfen Worten zurechtweisen können. Da sie sich aber in dem groben Wollumhang als einfache Magd ausgab, tat sie gut daran, den Blick gesenkt zu halten. Dienstboten wiesen niemanden zurecht, schon gar nicht einen Mann mit einer Peitsche. In ihrer Verkleidung würde er ihr nicht glauben, wenn sie sich als Gutsherrin zu erkennen gab.
    Da sie ihre Aktivitäten außerdem geheim halten wollte, war es nicht in ihrem Sinn, wenn sich in der Nachbarschaft herumsprach, die Herrin von Berkswift sei als Dienstmagd verkleidet in aller Herrgottsfrühe zu Fuß auf der Landstraße gesehen worden. Erneut sauste die Peitsche erbarmungslos auf den geschundenen Gaul nieder, während Kate sich mit geballten Fäusten dem Fuhrwerk näherte. Ihr Zorn war vielleicht der Grund, warum sie zunächst nichts anderes hörte als das Knallen der Peitsche und das Knirschen der Wagenräder. Doch dann drehte der Wind und trug ihr das rhythmische Klapperntrabender Hufe zu.
    Kate warf einen Blick über die Schulter. Ein Reiter näherte sich den Hügel herauf.
    Möglicherweise hatte ein einfacher Fuhrmann während eines Erntedankfestes einen flüchtigen Blick auf Lady Kathleen werfen können – und hatte bei einem Krug Bier in der Dorfschänke vielleicht damit geprahlt, der Tochter des Herzogs leibhaftig begegnet zu sein. In dem derben Wollumhang und der Dienstbotenhaube würde er sie jetzt jedenfalls nicht erkennen.
    Aber bei einem Reiter könnte es sich um einen Adeligen handeln. Vielleicht sogar um den Earl of Harcroft, auf der Suche nach seiner verschwundenen Ehefrau. Sollte der Earl sie in ihrer Verkleidung erkennen, würde er sich zusammenreimen, welche Rolle sie beim Verschwinden seiner Frau gespielt hatte.
    Und dann müsste er lediglich ihre Spur ein paar Meilen zurückverfolgen. Die Schäferhütte lag nicht weit entfernt.
    Kate zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und drückte sich gegen die Mauer; ihre Finger streiften den rauen Sandstein. Sie hob zwar die Schultern unter dem derben Umhang, reckte aber kämpferisch das Kinn, fest entschlossen, Louisa unter keinen Umständen ihrem Ehemann auszuliefern.
    Der Reiter tauchte aus dem Nebel auf, als Kate die Hügelkuppe erreichte. Milchige Schwaden waberten um die Fesseln des Pferdes wie Meereswogen. Eine elegante Vollblutstute, grau wie der dampfende Nebel, durch den sie zu waten schien. Nicht Harcrofts kastanienbrauner Hengst. Erleichtert musterte Kate den Reiter.
    Er trug einen breitrandigen Hut und einen langen Mantel, dessen Schöße im Takt mit den Hufschlägen seiner Stute wippten. Wer auch immer er sein mochte, seine Schultern waren zu breit, um Harcroft zu gehören. Außerdem war das Gesicht des Fremden von einem sandfarbenen Bart halb zugewachsen. Das war keinesfalls Harcroft. Auch kein anderer Mann, den sie kannte.
    Was allerdings nicht bedeutete, dass der Mann sie nicht erkannte und Gerüchte verbreiten könnte.
    Sie atmete tief durch und wandte den Blick nach vorne. Wenn sie keine Aufmerksamkeit auf sich zog, würde er keine Notiz von ihr nehmen. Für einen Aristokraten war eine Dienstmagd buchstäblich unsichtbar.
    Die leichten Hufschläge der Stute näherten sich. Das edle Tier bewegte sich mühelos im Gegensatz zu dem bedauernswerten Gaul, der seine gewaltige Last immer noch den Hügel hinauf schleppte. Aber Kate musste sich auf ihre eigenen Sorgen konzentrieren. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie der Reiter das Fuhrwerk überholte. Dabei streiften seine Mantelschöße die Scheuklappen des Zugpferds. Eine kurze Berührung, mehr nicht.
    Der Gaul legte die Ohren flach an, scheute und schlug nach hinten aus. Die Wagendeichsel knirschte bedrohlich, und Kate presste den Rücken gegen die Mauer. Die Mantelschöße flatterten erneut im Wind, die Peitsche knallte, und Kate zuckte erschrocken zusammen. Der gequälte Klepper stieß ein gespenstisch schrilles, lang gezogenes Wiehern aus und stieg. Gefährlich kippte der Karren nach hinten, die Hufe donnerten zur Erde. Holz splitterte krachend. Kate fuhr herum.
    Die Wagendeichsel war in der Mitte gebrochen. Das Pferd, gefangen in Halfter und Zugriemen, versuchte vergeblich, in seiner Todesnot zu fliehen.
    Kate erhaschte einen Blick auf ein schwarzes verdrehtes Auge, auf die flach an den mächtigen Schädel gelegten Ohren. Der gehetzte Blick der bejammernswerten Kreatur war auf sie gerichtet. Und wieder zerriss ein Peitschenknall die Luft. Der Gaul stieg erneut, so nah an Kates Gesicht,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher